bislang habe ich mich bei dem Thema „Schuldenbremse in den Verfassungsrang“ zurück gehalten. Ich geb’s zu: Ich wollte mich da nicht blamieren. Ich wollte nicht öffentlich vertreten, dass die Maastricht-Kriterien, politisch verantwortungsvolles Handeln und ein bisschen Hausverstand (ich mag das Wort nicht, aber hier passt es doch ganz gut) als Leitlinien für die Budgetpolitik reichen sollten. Wir wissen beide, dass all das nicht gereicht hat und auch nicht reichen wird. Dass Politiker die Grundprinzipien, die sie jahrelang missachtet haben, in die Verfassung schreiben, wird das auch nicht ändern. Das dachte ich, und hatte dabei das mulmige Gefühl, dass ich etwas falsch verstehe, dass ich irgendeinen Aspekt übersehen habe.
Heute haben wir dann erfahren, dass uns eine Rating-Agentur „unter Beobachtung“ stellt, dass unser hübsches AAA wackelt und dann kommen Sie, Österreichs erster Mann im Staat und betonen in der Aussendung „Bundespräsident fordert Verantwortungsbewusstsein von allen Parteien„:
Österreich braucht jedenfalls mehr denn je gemeinsame Anstrengungen in Richtung einer stabilen und rationalen Entwicklung, die auch Fairness zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen nicht außer Acht lässt.
D’accord! Mehr denn je. Weil, was nicht war, kann ja vielleicht noch werden. Und was Sie sagen, klingt ja wirklich gut. Ich bin zu jeder Wahl gegangen und habe immer Parteien gewählt, die in ihren Versprechungen diesem Ideal aus meiner Sicht am nächsten kommen.
Ich lese ihre Aussendung weiter:
Eine „Schuldenbremse“ im Verfassungsrang wäre ein wichtiges und richtiges Signal zum richtigen Zeitpunkt, das den Spielraum des Verhältnisses zwischen einnahmenseitigen und ausgabenseitigen Maßnahmen nicht verändert, aber die vorgegebene Gesamtrichtung der Reduzierung des Schuldenstands deutlich bekräftigt und unterstützt.
Hm. Es geht also nur um ein Signal? Ganz ehrlich, Signale helfen uns nicht weiter. Was uns weiterhelfen würde, wäre der vielbeschworene Tag, der mit einem ausgeglichenen Budget beginnt. Und mit „ausgeglichen“ meine ich „ausgeglichen“ und nicht gebügelt, beschönigt oder geföhnt. Dessen sind sich die Menschen in diesem Land genauso bewusst wie die Politiker. (Schlimm genug, dass das in der Wahrnehmung der meisten zwei gänzlich verschiedene Gruppen sind.)
Bis jetzt ist noch alles so, wie’s immer war: Alle orten Reformbedarf, aber man erkennt, dass alles „sehr kompliziert“ ist. (Der Sager von Fred Sinowatz war entwaffnend ehrlich und er ist als Ausrede universell einsetzbar.) Also machen wir halt so weiter wie bisher.
Und nun raten Sie folgendes?
Der Bundespräsident ging auch kurz auf die morgige Abstimmung über die Schuldenbremse im Nationalrat ein und meinte, dass Abgeordnete, die dem Gedanken einer Schuldenbremse im Verfassungsrang grundsätzlich positiv gegenüberstehen, aber der Regierung keinen ausdrücklichen Vertrauensvorschuss geben wollen oder einzelnen Formulierungen nicht explizit zustimmen wollen, auch die Möglichkeit hätten, sich der Stimme zu enthalten bzw. an der Abstimmung nicht teilzunehmen.
Herr Bundespräsident, ich gebe gerne zu, dass ich die komplexen Zusammenhänge der Finanzpolitik nicht zur Gänze verstehe. Ich habe auch nicht die Zeit, mir das Wissen so weit anzueignen, dass ich mit den Größen der Finanzwelt auf Augenhöhe parlieren kann. Ich muss nämlich arbeiten. Von dem Geld, das ich dabei verdiene, zahle ich Steuern. Von den Steuern werden Politiker bezahlt, die mehr von der Sache verstehen sollten als ich. Und Sie raten diesen Politikern, dass sie Abstimmungen fernbleiben sollen? Soll ich Politiker bezahlen, die die Rationalität sträflich vernachlässigen (sonst müssten wir ja kein Signal dafür in die Verfassung schreiben) und die ihre Wähler (man nennt es repräsentative Demokratie) durch Abstimmungsabsenz vertreten?
Schöne Grüße,
Werner Reiter