Roland Schimmelpfennig ist der meist gespielte Gegenwartsdramatiker Deutschlands. Mit Sicherheit ist „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“ am Wiener Akademietheater brilliant gespielt. Das Stück holpert trotzdem.
Die Mitglieder des Vierer-Ensembles stellen die Figuren in ihrer ganzen Hilflosigkeit sehr überzeichnet dar. Das verlegene Lachen ist ebenso laut wie das hysterische Weinen. Es ist letztlich eine Geschmacksfrage, ob man diese Art der Inszenierung, diese Überzeichnung ins Groteske, gut findet. Der Stoff würde sie schon vertragen. Bei dem geht es nämlich um das komplizierte Verhältnis der reichen Länder des Nordens zu jenen des Südens, die in Armut und Bürgerkrieg versinken.
Schimmelpfennigs Kunstgriff ist, die Diskussion darüber in ein deutsches Wohnzimmer zu bringen, in dem sich zwei Paare nach Jahren wieder sehen. Das eine davon ist nach einem sechsjährigen humanitären Einsatz aus Afrika zurückgekehrt, der tiefe Spuren hinterlassen hat. Das andere hat währenddessen ein Kind bekommen und das gesamte Mittelstandsprogramm vom Kind bis zum Einfamilienhaus mit Garage abgespult. Im Laufe eines mit reichlich Alkohol getränkten Abends werden nicht nur weltpolitischen Fragen auf eine persönliche Ebene geholt. Es treten auch sehr banale menschliche Konflikte zwischen den vier Menschen zu Tage. Der Autor durchmischt die Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse aus dem Bürgerkriegsland mit den ehelichen Krisen seiner Figuren. In teilweise lähmend langweiligen Dialogen, die dann auch noch zigfach nach persönlichen Kommentaren der Protagonisten wortgleich wiederholt werden, kommt das Stück schön langsam zur Kernfrage: nämlich der der Verantwortung. Konkret ist die Verantwortung für das Waisenmädchen Annie gemeint, das Karen und Martin gegen die Regeln der Hilfsorganisation aufgenommen und es dann auf der Flucht vor dem Krieg zurückgelassen haben. Liz und Frank haben Annie von Deutschland aus unterstützt und sie ihrer Tochter als eine Freundin präsentiert, der sie Briefe geschrieben hat.
Der Theaterabend zieht sich wie Kaugummi. An der schauspielerischen Leistung liegt es nicht (meine Sympathie gilt vor allem Tilo Nest in der Rolle des abgeklärten Zynikers Frank). Mein Versuch, das „ist der meist gespielte Gegenwartsdramatiker“ durchzudeklinieren:
- „Meist gespielt“: Ist sicherlich statistisch belegbar.
- „Gegenwarts-„: Ja, das Stück wirft interessante aktuelle Fragen auf.
- „-dramatiker“ : Da liegt aus meiner Sicht die große Schwäche. Dass das Stück nur langsam in Fahrt kommt, ist als dramatisches Konzept nachvollziehbar. Dass es manchmal ruckelt und Passagen nach persönlichen Reflexionen der Protagonisten wiederholt werden, ist als originelle Idee akzeptabel. Das Stück holpert aber über die ganze Länge einem Höhepunkt entgegen, der keiner ist.
Details auf der Seite des Burgtheaters.