Es gibt zwei Arten, wie man das Thema Mobilität verstehen kann. Die eine bezieht sich auf Informationstechnologien und die zweite auf die Fortbewegung im Raum. (Die soziale Mobilität lasse ich hier einmal außer Acht.)
Das Pardoxe dabei ist, dass die Geschichte beider Mobilitätsformen von steil nach oben zeigenden Wachstumskurven geprägt war (und größtenteils noch ist). In meinem Bücherregal steht „Mobilität ohne Grenzen? Vision: Abschied vom globalen Stau“ von Jakob Maurer und Martina Koll Schretzenmayer. Das ist nicht mehr ganz neu (erschienen im Jahr 2000), aber immer noch gültig.
Die Autoren beginnen – wie es sich für gute Autoren gehört – am Anfang der Menschheitsgeschichte:
„Die Informationsübermittlung war an physische Transportmittel gebunden und langsam. Wenige konnten sich über weite Distanzen bewegen oder sich darüber verständigen.“
Dann kamen die ersten Telegrafen und heute stehen wir bei einer Übertragungsgeschwindigkeit von „bis zu“ 150 Mbit/s in LTE-Netzen. Wir können immer und überall online sein und uns live und in Farbe über Videochats in brauchbarer Qualität mit Menschen am anderen Ende der Welt unterhalten.
Gleichzeitig entwickeln sich aber auch die klassischen Fortbewegungstechnologien weiter und werden immer schneller. Züge erreichen Spitzengeschwindigkeiten von 574,8 km/h (Rekord aus dem Jahr 2007) und selbst bei Elektroautos, die ja als die sauberere Alternative zu Fahrzeugen mit Brennstoffantrieb gehandelt werden, arbeitet man an Geschwindigkeitsrekorden (437,318 km/h im Jahr 2004). Doch nicht nur die Geschwindigkeiten werden höher, auch das Verkehrsvolumen steigt. – In den Daten- und auch in den Verkehrsnetzen. Die „informationelle Mobilität“ ist scheinbar keine wirkliche Alternative zur „räumlich-zeitlichen Mobilität“.
Warum ist das mit der Vernetzung so schwer?
Zwar gibt es einige positive Zeichen, die darauf hindeuten, dass das „automobile Leitbild“ [1] langsam durch andere, weniger ressourcenintensive Mobilitätsformen ersetzt wird, dass sich das Prinzip „Nutzen statt besitzen“ [2] langsam durchsetzt und dass Fußgängern und Radfahrern in Städten mehr Raum gegeben wird. Eine Entwicklung in Richtung multimodaler Verkehrssysteme bringt aber höheren Koordinationsaufwand. Wer nicht mehr mit dem eigenen Auto von der Garage zum Arbeitsplatz und wieder zurückfährt, wird öfter umsteigen müssen und dabei Services unterschiedlicher Anbieter nutzen. Und das muss geplant werden.
Derzeit stellt sich die Lage meist noch so dar, wie in dem Bild oben: Jedes Verkehrsmittel treibt für sich auf einer Eisscholle. Informationstechnologien sind ganz gut dazu geeignet diese Schollen zu überwinden. Technisch gesehen. Praktisch gesehen ist jede Menge kaltes Wasser dazwischen. Viele unterschiedliche Player bewegen sich am Mobilitätsmarkt und die meisten denken bei der Mobilität der Zukunft an die Businessmodelle der Zukunft und wie sie ein möglichst großes Stück des Kuchens bekommen können. Daher sind auch sehr vorsichtig, wenn es um den Austausch von Daten, die Öffnung von Interfaces oder die Einigung auf gemeinsame Standards geht. Das ist wäre aber nötig, um Anwendungen zu entwickeln, die den Verkehrsteilnehmern die Koordination ihrer individuellen Mobilität ermöglichen (die Anforderungen sind so vielfältig wie die Menschen es sind) und die eine Steuerung von Verkehrsflüssen erlaubt, die schnell auf aktuelle Entwicklungen eingehen kann (Umleitungen, kurzfristiges Bereitstellen zusätzlicher Kapazitäten im öffentlichen Nahverkehr).
Und warum ist die Vernetzung dennoch wichtig?
Aus meiner Sicht führt kein Weg daran vorbei, besseres Interworking der einzelnen Verkehrselemente zu ermöglichen. Nur dann kann Mobilität tatsächlich so funktionieren, dass Menschen auf umweltfreundliche Verkehrsmittel umsteigen. Dann sind sie nämlich nicht nur günstiger als das Auto, sondern auch um ein Vielfaches attaktiver.
Ich wage jetzt einmal zu behaupten, dass sich durch Datenaustausch und offene Schnittstellen auch interessante Businessmodelle im kalten Wasser entwickeln lassen. Man muss sich nur trauen reinzuspringen.
Dieses ist mein Beitrag zur twenty.twenty Blogparade. Das Thema dieses Mal lautet „Seamless Mobility„.
[1] Zukunft der Mobilität. Szenarien für das Jahr 2030; Institut für Mobilitätsforschung (Hrsg.) 2010, S. 7
[2] Siehe etwa die aktuelle Studie„Mobilität und Transport 2025+“ des VCÖ
Das verwendete Bild ist von Jason Auch (originally posted to Flickr as IMG_0263) [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons Die Zeichnungen sind von mir.