Die aktuelle twenty.twenty-Blogparade stellt die Frage „Wie lernen wir?“ Gemeint ist der persönliche Umgang mit digitalen Werkzeugen beim Wissens- und Kompetenzerwerb. Nun ist es ganz bestimmt nicht so, dass ich mich dem lebenslangen Lernen verweigern würde, aber mir will partout nichts einfallen, was an meiner Art des Erwerbs neuer Kenntnisse oder Fähigkeiten berichtenswert ist. Wenn ich etwas wissen will, dann befrage ich eine Suchmaschine. Ich lese viel – am Smarttelefon, am Tablet, am Notebook, am E-Book-Reader, auf totem Holz – ich schaue mir Streams oder Videos von interessanten Konferenzen, Diskussionsrunden und Vorträgen an. Ich hantle mich von einem Informationshappen zum nächsten, versuche, das so Erfahrene irgendwie zu sortieren und hoffe, dabei etwas klüger zu werden. Aber ich verwende keine Tools für E-Learning – vor vielen Jahren habe ich mal einen Online-Kurs für ein Office-Programm absolviert – und ich spiele keine educational Games. Ganz einfach, weil ich überhaupt nie am Handy oder Computer spiele. Zwar halte ich Games und Simulationen für eine ausgesprochen wichtige Kulturform, aber ich konnte nie darauf „reinkippen“. Vielleicht habe ich das Spielen auch nie richtig erlernt. Soll sein. Vielleicht klappt’s ja mit meiner bahnbrechenden Bildungsinnovation.
Danke an meine Deutschprofessorin!
Wenn die Gegenwart nichts Berichtenswertes bietet, schaut man gerne in die Vergangenheit oder man wagt einen Blick in die Zukunft. In meiner persönlichen Vergangenheit habe ich eine sehr weitrechende Entscheidung getroffen: die Entscheidung, noch mehr zu lernen. Als kleiner Knirps hatte ich den Entschluss gefasst, Tischler zu werden. Nicht einmal der kaputtgefräste Finger meines Tischleronkels konnte mich davon abbringen. Meine Noten in der Unterstufe waren ausgesprochen gut, weshalb ich statt des berufsvorbereitenden Polytechnikums noch ein Jahr in der Oberstufe machte. Danach wollte ich aber dann die Tischlerlehre beginnen. Es kam anders. Und daran, dass es anders kam, war meine Deutschprofessorin maßgeblich beteiligt. Sie war vergleichsweise streng und forderte viel von ihren Schülerinnen und Schülern, aber sie war beseelt von einer Liebe zur Literatur. Die konnte sie mir vermitteln. Und so kam es, dass ich an der Schule blieb, die Matura machte und später studierte. Ich habe mehr gelernt, als es mein im Kindergarten gefasster Plan vorgesehen hatte; zumindest, wenn man es an formalen Bildungsmaßstäben misst. Dafür bin ich meiner Deutschprofessorin dankbar.
Lehrende sind hauptverantwortlich für den Lernerfolg. No na!
So viel zur Vergangenheit. Meine persönlichen Erfahrungen lassen sich abstrahieren und sogar wissenschaftlich belegen. In der Bildungsforschung gilt die Metastudie „Visible Learning: A Synthesis of Over 800 Meta-Analyses Relating to Achievement” von John Hattie aus dem Jahr 2008 als wegweisend. Er hat die Ergebnisse aus mehr 50.000 Einzelstudien mit Daten von ca. 250 Millionen Lernenden analysiert und daraus eine Rangliste von 138 Einflussfaktoren für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern erstellt. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Die bestimmenden Qualitätsmerkmale haben mit der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden zu tun. In Hatties Worten: „Am wirksamsten ist aber das, was im Unterricht zwischen Lehrern und Schülern passiert.“ (Siehe: „Bildungsforscher Hattie: ‚Die Schule kann nicht alle Probleme lösen‚“ auf Spiegel.de)
Von den Top 20 Merkmalen vier direkt den Lehrenden zugeordnet und sieben dem von ihnen gestalteten Unterricht. Am stärksten sind natürlich die persönlichen Merkmale der Lernenden. Doch die sind am wenigsten zu beeinflussen. Interessanterweise kommen Faktoren, die das Elternhaus betreffen erst viel später in der Rangliste.
„Lehrer sollen wie Regisseure das Lernen ihrer Schüler steuern: Sie müssen wissen, wo ihre Schüler gerade stehen, was das Lernziel ist und wie sie es erreichen können. Wenn Schüler etwas nicht verstehen oder beherrschen, müssen Lehrer ihnen alternative Lernwege anbieten können. Sie bräuchten eine Liebe zu ihrem Fach, den Willen, es den Schülern näherzubringen und den Glauben, dass jeder Schüler lernfähig ist. Am effektvollsten ist ein Lehrer dann, wenn er selbst vom Feedback der Schüler lernt, wie er seinen Unterricht adaptieren muss und die Schüler dazu befähigt, selbst zu Lehrern zu werden.“ (Siehe: „Hattie im Detail“ auf derstandard.at)
Diese Zusammenfassung zur Rolle der Lehrenden laut Hattie könnte auf meine Deutschlehrerin zutreffen.
Standardisierung und Individualisierung in einem
Was das alles mit E-Learning zu tun hat? Auf den ersten Blick nicht viel. Auf den zweiten könnte es mit digitaler Unterstützung mehr solche Glücksfälle geben, wie es meine Frau ‚fessor für mich war. Die hat, wie gesagt, viel gefordert und konnte sicher nicht allen ihre Leidenschaft für Geisteswissenschaften im gleichen Maße vermitteln wie mir. Für mich war ihre Art des Unterrichts und sie als Person die richtige. Mit ein paar Algorithmentricks sollte es doch gelingen, dass persönlicher Lerntyp und Lehrende besser zusammenfinden. Wenn wir Lernfortschritte online dokumentieren und (Teil-)Prüfungen online ablegen, lässt sich das korrelieren mit den Lehrenden und ihrer Art, Stoff zu vermitteln. Für das nächste Semester ließe sich dann vielleicht jemand finden, der noch besser zum eigenen Lernprofil passt.
Der Vorteil läge nicht nur in einem treffsichereren Matching, sondern auch in einer besseren Verteilung der Studierenden auf einzelne Lehrende. Ausschlaggebend für die Wahl einer Lehrveranstaltung bzw. von Lehrenden wären nicht nur Kriterien wie Beliebtheit, Bekanntheit, oder örtliche Verfügbarkeit, sondern in viel stärkerem Maße die Frage, ob die Art zu lehren auch zum eigenen Lernstil passt.
Ich gehe davon aus, dass sich Lernziele und vor allem die Überprüfung des Erlernten zu großen Teilen standardisieren lassen. Der Weg dorthin ist aber individuell. Wenn sich Lehrende und Studierende inüberschaubarer Anzahl in virtuellen Klassenräumen treffen – Entfernungen spielen dank Videoconferencing keine Rolle – kann auf die individuelle Bedürfnisse, Lerntempo und Fragen eingegangen werden. Derartige Systeme eignen sich wohl erst für Schülerinnen und Schüler ab einem gewissen Alter, wenn es schon um Spezialisierung geht. Ich denke aber, dass es in Oberstufen, an Universitäten oder in der Erwachsenenbildung durchaus einsetzbar wäre.
tl;dr
Zwar gibt es eine Vielzahl digitaler Werkzeuge, die für das Lernen eingesetzt werden können. Die Person der Lehrenden, ihre Art den Unterricht zu gestalten und auf individuelle Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern einzugehen, hat aber nach wie vor größere Bedeutung für den Lernfortschritt als viele andere Faktoren. Ein technologisch unterstütztes Matching von individuellen Lernanforderungen und Lernstilen mit den Profilen von Lehrenden könnte zu besseren Lernerfolgen für alle führen.