Episode 5 meiner höchstpersönlichen Musikbiografie
Mit zarten Fünfzehn war mein größtes Bestreben, so auszusehen wie Blixa Bargeld, der immer schwarz gewandete Frontmann der Einstürzenden Neubauten. Schwere Stiefel, enge Lederhose, auftoupierte rote Haare, ungesunder Teint, umwölkt von Rauch starker Zigaretten. Wenn ich mir heute die Fotos aus der Zeit ansehe, stelle ich fest, dass ich spindeldürres Bürschlein das damals gar nicht so schlecht hinbekommen habe. Zweitwichtigstes Anliegen war die Eroberung dieses ebenfalls immer in Schwarz gekleideten Mädchens aus meiner Schule mit den turmhoch auftoupierten Haaren. Meine schüchternen Annäherungsversuche hatten irgendwann doch so weit gefruchtet, dass wir ins Gespräch kamen. Ich musste aufs Ganze gehen, ihr begreiflich machen, wie sehr ich an dieser Welt litt, wie mir die Schule am Arsch vorbei ging und dass eine Karriere als furchtbar kreativer Mensch im Westen vom damals noch geteilten Berlin vor mir lag. Mit welcher Kunstform ich diese bestreiten wollte, konnte ich aufs nächste Gespräch verschieben. Der erste Anlauf gelang gar nicht mal so schlecht. Ich versprach, mit einer Zigarette im Mundwinkel, am nächsten zwei Schallplatten mitzubringen, die Aufschluss über mein komplexes Innerstes geben könnten. „Rain Dogs“ von Tom Waits und „Halber Mensch“ von den Einstürzenden Neubauten. Das Verborgen von Schallplatten war meiner Ansicht nach ein noch größerer Beweis meiner Zuneigung als ein Mixtape. Tags darauf gab sie mir das kostbare Vinyl zurück. Im Kartoncover von „Halber Mensch“ steckte eine Nadel und an der Nadel ein Zettelchen „Danke!“. Eine Nadel! Was, wenn die Platte jetzt zerkratzt war? Nicht auszudenken! Ein paar Tage später sah ich sie Hand in Hand mit einem anderen. Das Vinyl ist heil geblieben.