Der 30c3 hatte kein Motto. Etwa 9.000 Menschen waren im Vorjahr nach Hamburg gekommen, um sich kollektiv die Wunden zu lecken, die ihnen Edward Snowdens Enthüllungen gerissen hatten. Ohne Motto. Sprachlos. Sogar die konsequentesten Paranoiker waren von den Snowden-Leaks überrascht worden. Die Realität war schlimmer als die düstersten Dystopien. – Und sie ist es noch immer. Aber es bewegt sich etwas. Kaum jemand auf der Welt mit halbwegs regelmäßigen Medienkonsum, die oder der nicht darüber Bescheid wüsste, dass die NSA sich Zugriff auf ihre digitalen Spuren verschafft hat. Die meisten davon kümmert das nicht wirklich. Doch immer mehr beschäftigen sich mit Gegenmaßnahmen. Das zeigt sich auch an den steigenden Besucherzahlen des 31. Chaos Communication Congress. Heuer sind es 12.000. 12.000, denen Crypto kein Fremdwort ist.
„A new dawn“ ist das Motto des 31c3. Die „Szene“ spricht sich damit selbst Mut zu. Einerseits. Andererseits ist tatsächlich Aufbruchsstimmung spürbar. An allen Ecken und Enden wird an Gegenstrategien gearbeitet, digitale Selbstverteidigung geübt, kryptografische Verfahren werden verbessert und Aufklärungsarbeit wird geleistet.
Nach einer eher schwachen Eröffnung – die Keynote von Alec Empire hat die Bezeichnung eher nicht verdient – stellte die Session des Zentrums für politische Schönheit einen ersten Höhepunkt für mich dar. Die Gruppe agiert an der Schnittstelle zwischen Kunst und Aktivismus und ist damit recht erfolgreich. Mit ihrem Konzept des „aggressiven Humanismus“ provozieren sie. Und erreichen damit deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit als die alteingesessenen NGOs. Während „Aktivisten“ von Amnesty International mit verbundenen Augen in Fußgängerzonen stehen oder Schiffchen falten, montieren die Schönheitszentralisten illegalerweise Kreuze ab, die der Menschen gedenken, die an der Berliner Mauer getötet wurden. Diese bringen sie, begleitet von viel Polizei und ebenso viel Medien an der EU-Außengrenze an, um damit auf die dramatische Situation derer aufmerksam zu machen, die dort an den Stacheldrahtzäunen scheitern. Diese Art des Aktionismus ist auch ein Zeichen des „new dawn“, der im Hamburger Kongresszentrum vielfach zu spüren ist.
Noch deutlicher war sie gestern bei der Vorführung von „Citizenfour“. Laura Poitras’ Snowden-Doku ist mit einigem zeitlichen Abstand nach den Enthüllungen fertig geworden. Die Regisseurin konnte daher auf die Erklärungen der Details und Hintergründe zu einzelnen Spionageprogrammen verzichten. Abgesehen davon, dass das in einer Filmdoku ohnehin eher schwierig wäre, hat Glenn Greenwald mit seinem Buch und seinen Artikeln den Job schon bravourös erledigt. Poitras konnte sich also auf die Person Snowden konzentrieren, seine Beweggründe und vor allem auch die Ungewissheit zeigen, mit der er in einem Hotel in Hong Kong den Ereignissen entgegenblickte, die auf ihn zukommen sollten. „Citizenfour“ ist zu einem Film geworden, der anhand einer Person zeigt, welchen Mut es braucht, sich gegen den mächtigsten Geheimdienst der Welt zu stellen. Snowden ist nicht die Art von Held, die uns Hollywood immer wieder vorsetzt, sondern ein durchschnittlicher junger Mann, der eine Entscheidung getroffen hat, die die Welt und vor allem sein eigenes Leben dramatisch verändert hat. Der junge Mann hat Humor, ist manchmal ein wenig eitel und hat auch Angst. Vergangenes Jahr stand sein Archiv im Zentrum des Interesses. Dieses Jahr sind es Snowdens Taten. „Citizenfour“ trägt zum schwachen Leuchten des „new dawn“ bei. Die Menschen hier auf dem Kongress wirken sehr entschlossen, es zu verstärken.