Wir Ökooptimierer. Wir Datenschleudern.

Die „Macht der Konsumenten“ wird ja viel beschworen. In dem Zusammenhang gilt heute mehr denn je das geflügelte Wort, das auf den englischen Philosophen Francis Bacon (1561–1626) zurückgeht: „Wissen ist Macht“. Die Zusammenhänge einer globalisierten Wirtschaft werden zunehmend undurchsichtiger. Wer „nachhaltig“ konsumieren möchte, tut sich einigermaßen schwer, die richtige Produktwahl zu treffen. Dabei liegt genau darin die Macht: Je mehr Menschen „nachhaltige“ Produkte nachfragen, desto mehr werden die Anbieter auch darauf achten, solche anzubieten. „Nachhaltigkeit“ ist allerdings nur ein Wort, das schnell auf eine Verpackung geschrieben werden kann. (Ich weiß, es ist ein alter und nicht besonders guter Schmäh, aber ich habe dennoch einen Begriff in die Suchmaschine meines Vertrauens eingegeben und bin jetzt ganz entrüstet, dass „Greenwashing“ 251.724 Treffer in 0,35 Sekunden gebracht hat. So viele! Wahnsinn!)

Ökologische und soziale Gesamtkostenrechnung

Was wirklich drin ist und ob die Gesamtkostenrechnung zugunsten von Umwelt und Gesellschaft ausgeht oder primär dem Unternehmensprofit dient, ist für uns Endanwender nur schwer nachvollziehbar. Da wird dann schnell der Ruf nach der Politik laut: Sie möge regulierend eingreifen, Grenzwerte definieren, Audits vorschreiben und so weiter und so fort. Das geschieht auch. Mit wechselhaftem Erfolg. In Teilbereichen, wie etwa der Ecodesign-Richtlinie der EU wurden Standards gesetzt, die viel gelobt werden. In anderen Bereichen – vor allem, wenn es um globale Zusammenhänge geht – ist das schon bedeutend schwieriger. Die Abschlusserklärungen der Klimagipfel der letzten Jahre sind allesamt keine großen Würfe. In den Handelsabkommen wie TTIP, TISA, CETA oder wie sie alle heißen, ist die Handschrift der großen Konzerne deutlich zu erkennen und man kann davon ausgehen, dass hohe Standards, die sich einzelne Regionen gegeben haben, nach unten nivelliert werden, wenn diese Vereinbarungen so kommen wie die wenigen öffentlich zugänglichen Dokumente aus den geheimen Verhandlungen vermuten lassen.

Abstimmung mit den Füßen

In den letzten Jahrzehnten setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass Menschen selbst etwas verändern können, dass sich viele kleine Beiträge zu einem beachtlichen Ergebnis aufsummieren lassen. Das müssen eben nicht immer die großen Kampagnen von Umweltschutz- oder Menschenrechtsorganisationen sein. (Ja, die haben viel bewirkt; siehe die Verhinderung von ACTA, siehe Palmöl – ich wusste vor ein paar Jahre noch nicht, was das ist und warum ich Palmöl nicht gut finden soll.) Sympathischer als Protest, Boykott oder Shitstorm (nicht falsch verstehen: ich halte das alles für legitime Mittel) ist mir aber, wenn Menschen durch ihr alltägliches Verhalten Änderungen herbeiführen können. Ob das jetzt bewusster Konsum, oder geändertes „Mobilitätsverhalten“ ist: Wenn ich etwas ohne großen Aufwand oder Verzicht tun kann, tue ich das gerne. Ich gehe davon aus, dass viele andere auch so denken.
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Die Big-Data-Falle

Apps, die mir dabei helfen, sind mir da sehr willkommen. Wenn sie gut gemacht sind, liefern sie mir instant Informationen wie etwa Codecheck.info, das Produkte über einen Barcode-Scanner identifiziert und mir Alternativen anbietet. Im Hintergrund schnurren die Algorithmen und Informationen aus unterschiedlichen Quellen werden aggregiert. Wunderbar! So muss Technik. Obwohl ich selbst kein Spieler bin (mir fehlt das Game-Gen), finde ich auch Gamification-Ansätze ganz hervorragend. Punkte sammeln fürs gute Gewissen ist grundsätzlich eine feine Sache. Wenn ich mich etwa – wie bei Changers.com tracken lasse, welche Strecken ich mit dem Fahrrad, der Bahn oder dem Flugzeug (pfui!) zurücklege und dafür im Highscore auf- oder absteige, so soll mir das recht sein. Weniger recht wäre es mir, wenn etwa die Informationen, die ich Codecheck.info gebe, für Werbezwecke verwendet würden. Wäre ja durchaus denkbar, dass findige Marketiers durch Einwurf kleiner Münzen das Ranking der alternativen Produkte bei Codecheck.info beeinflussen möchten. Könnte auch sein, dass die Bewegungsprofile, die bei Changers anfallen, Begehrlichkeiten wecken. Ich gehe zwar nicht davon aus, dass die Schnittmenge potenzieller Terroristen und Ökooptimierer besonders groß ist, aber der Datenhunger der Geheimdienste ist bekanntlich unersättlich. Und wenn es nicht die Geheimdienste sind, so fällt Plattformen wie Google oder Facebook viel ein, wozu sie die Daten brauchen können. Und damit bin ich wieder beim Ausgangspunkt: „Wissen ist Macht“. Wir Ökoptimierer bekommen in Nachhaltigkeits-Apps gut aufbereitetes Wissen über ansonsten schwer nachvollziehbare Zusammenhänge und liefern auf der anderen Seite neue Zusammenhänge, die idealerweise in die Optimierung der Apps fließen und nicht anderen Macht über uns geben. Meine Gesamtkostenrechnung schließt also nicht nur die ökologischen und sozialen Aspekte der Produkte ein, über die ich mich informiere, sondern auch den immateriellen Preis, den ich dafür bezahle, wenn ich mich darüber informiere.

tl;dr

Nachhaltigkeits-Apps geben ihren Anwendern viel Macht. Sie können fundierte Entscheidungen treffen und damit zu einer Veränderung beitragen. Da diese Apps meist kontextbezogen bzw. personalisiert arbeiten, geben die Anwender auch viel über ihre Interessen, Vorlieben und ihr Konsumverhalten preis. Seriöse Anbieter legen genau offen, was sie mit den Daten machen und sie bauen ihr Businessmodell nicht auf dem Verkauf dieser Daten auf.
Dieser Text ist ein Beitrag zur Blogparade, zu der twenty.twenty aufgerufen hat. Das Thema der nächsten Veranstaltung am 14. April 2015 ist „Wir Ökoptimierer. Machen Apps uns zu nachhaltigeren Konsumenten?“ (Details: Siehe >>hier.)

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