Mehr Überwachung bringt mehr Sicherheit. Seit Jahren gehen Regierungen mit dieser Formel hausieren. Sie ist nicht nur falsch, sondern auch brandgefährlich. Innenminister Sobotka und Justizminister Brandstetter kümmert das nicht. Sie wollen immer mehr vom Falschen. Um es auch zu bekommen, schüren sie ganz bewusst die Ängste der Bevölkerung. Sobotka geht sogar noch einen Schritt weiter und bezichtigt alle Kritikerinnen und Kritiker seiner Pläne, Anschläge auf die Sicherheit der Menschen in diesem Land zu planen.
Ich will mich jetzt nicht auf die Diskussion einlassen, woran in Österreich mehr Menschen sterben; an den Folgen des Tabakkonsums, an Blitzschlag oder bei Terroranschlägen. Terror und Radikalisierung sind Probleme. Die Fakten legen nahe, dass sie überschaubar sind. Sie können unsere Gesellschaftsordnung nicht in ihren Grundfesten erschüttern. Das Gefühl sagt, dass sie groß sind.
Für Probleme braucht es Lösungen. Die können allerdings nicht darin liegen, das Problem zu vergrößern. Genau das tun Innenminister Sobotka und Justizminister Brandstetter – und zwar in einer Weise, die unsere Gesellschaftsordnung tatsächlich gefährdet. Sie wollen ein Überwachungspaket einführen, das eine noch nie dagewesene Einschränkung unserer Freiheiten darstellt. Das Leben im öffentlichen Raum soll ebenso durch Videokameras überwacht werden wie die Bewegungen im Straßenverkehr (durch Kfz-Kennzeichenerfassung) und verschlüsselte Kommunikation im Internet (mit dem Bundestrojaner). Zusätzlich soll auch die Überwachung mobiler Kommunikation (durch IMSI-Catcher) ausgeweitet werden.
Die Fakten
Der neueste Streich der beiden Minister: Sie wollen den nationalen Sicherheitsrat einberufen. Den brauchen sie nicht, weil Österreich am Rande des Ausnahmezustands steht oder sich in den vergangenen Jahren irgendetwas an der Bedrohungslage geändert hätte. Im Gegenteil: Österreich ist vom Terror bislang verschont geblieben und wir leben nach wie vor im viertsichersten Land der Welt. Laut Angaben des Innenministeriums ist die Anzahl angezeigter Verbrechen im Mehrjahresvergleich gesunken und die Aufklärungsquote ist gestiegen. Dennoch geht die Angst um. Und die schürt der Innenminister laufend; so auch nach den jüngsten Anschlägen in Barcelona. Sobotkas Argumentation: Ein derartiger Anschlag kann jederzeit auch in Österreich verübt werden und daher brauchen die Behörden weitreichende Überwachungsbefugnisse. Dem ersten Teil der Aussage kann man nur schwer widersprechen. Terroranschläge sind ein trauriges Faktum und sie treffen auch neutrale Länder wie etwa Finnland. Beim zweiten Teil muss man das aber ganz vehement tun. Im Fall von Barcelona gestehen die Behörden schwere Fehler ein. Imam Abdelbaki Es Satty, der mutmaßliche Kopf der Terrorzelle war den Behörden in Spanien und auch in Belgien bereits vor dem Anschlag bekannt. Er konnte dennoch ungehindert Attentate planen. Nicht nur Abdelbaki Es Satty war den Behörden vorher bekannt, die überwiegende Zahl der Selbstmordattentäter der vergangenen Jahre war dies auch. Dennoch soll Überwachung auf immer mehr Menschen ausgedehnt werden? Dennoch sollen alle Bewegungen im öffentlichen Raum per Video erfasst und am besten direkt ans Innenministerium übermittelt werden? Ich bezweifle, dass diese Maßnahme etwas bringen und dass sie angemessen sind. Damit bin ich nicht alleine. Anstatt uns die Zweifel zu nehmen, versucht Sobotka uns als Terroristinnen und Terroristen hinzustellen:
Auch die Argumente von Justizminister Brandstetter halten einem Realitätscheck nicht stand. Er will mit dem Bundestrojaner „Überwachungslücken“ schließen und reißt damit riesige Sicherheitslücken auf. Die „Überwachungslücke“ besteht darin, dass die Behörden aktuell keine Möglichkeit haben, verschlüsselte Chats über WhatsApp abzuhören. Das soll nun mit einer staatlichen Spionagesoftware geschehen, die heimlich auf Smartphones eingeschleust wird. Der Staat bedient sich damit der gleichen Methoden wie Kriminelle, die Sicherheitslücken nutzen, um Schadsoftware wie den Erpressungstrojaner WannaCry auf Geräten zu installieren. Diese Sicherheitslücken stellen eine enorme Gefahr für die Wirtschaft wie auch die einzelnen Anwenderinnen und Anwender dar. Im Gegensatz dazu sind die Überwachungslücken harmlos. Im Fall der Terrorzelle von Barcelona waren sie gleich gar nicht vorhanden. Die Attentäter haben offline kommuniziert und ihre Anschläge nicht über verschlüsselte Messenger geplant.
Das Gefühl
Doch die Fakten kümmern die beiden Minister wenig. Sie nutzen jede Möglichkeit, um Stimmung für ihr „Sicherheitspaket“ zu machen. Für Wolfgang Sobotka ist Überwachung die Lösung für Probleme, die weniger in einer realen Bedrohung liegen als vielmehr im subjektiven Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Das bestreitet er auch gar nicht. In einem Interview mit dem Magazin Kommunal sagt er ganz offen:
„Wir brauchen das Paket auch, um den Menschen mehr Sicherheitsgefühl zu geben.„
Im Klartext: Die Behörden sollen möglichst unkontrolliert im Privatleben aller Menschen in diesem Land herumschnüffeln können, damit diese sich sicherer fühlen. Um die öffentliche Zustimmung für die behördliche Schnüffelei zu bekommen, muss erst einmal die Angst vergrößert werden. Der nationale Sicherheitsrat ist ein Vehikel dafür. Dort wird hinter verschlossenen Türen (es handelt sich um ein „vertrauliches Beratungsgremium“) diskutiert. Das bietet Raum für Spekulationen. Ist die Terrorbedrohung größer, als die öffentlich zugänglichen Fakten vermuten lassen? Müssen wir vielleicht doch mehr Angst haben? Diese Methode hat in den USA schon für die Rechtfertigung des „war on drugs“ und des „war on terrorism“ ausgezeichnet funktioniert; mit dem schmerzlichen Nebeneffekt, dass das Gefährdungsgefühl in der Bevölkerung nachhaltig angestiegen ist. So akzeptieren die Menschen die Beschränkung hart erkämpfter Freiheiten.
Die Lösung
Für diese Überwachungspläne der ÖVP hagelt es massive öffentliche Kritik. Über 9.000 Stellungnahmen sind beim Parlament zu den geplanten Gesetzen eingelangt. Die Liste der Kritikerinnen und Kritiker ist lang. Sie reicht vom Obersten Gerichtshof und der Rechtsanwaltskammer über Universitäten bis hin zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Amnesty International oder dem Roten Kreuz. Über die Plattform www.überwachungspaket.at, die von epicenter.works entwickelt wurde, haben sich auch 9.143 Privatpersonen mit ihren Kritik an das Parlament gewandt. Inhaltlich werden grundsätzliche Bedenken zur Unvereinbarkeit der Vorhaben mit unseren Grundrechten geäußert wie auch Kritik an mangelhaftem Rechtsschutz oder der technischen Durchführbarkeit. Ja, wir haben ein Problem mit Radikalisierung und Terrorismus. Um es zu lösen, braucht es Ansätze auf zwei Ebenen: Zum einen braucht es effiziente soziale Präventionsarbeit und punktgenaue Ermittlungsmaßnahmen anstatt flächendeckender Überwachung. Zum anderen dürfen wir die Angst nicht weiter schüren. Eine Gesellschaft darf sich nicht von Terror einschüchtern lassen. Schon gar nicht dürfen wir das erledigen, was die Terroristinnen und Terroristen erreichen wollen: Die Abschaffung unserer Grundrechte und unserer Demokratie. In Barcelona haben am Wochenend Kundgebungen unter dem Motto „No tinc por“ (Ich habe keine Angst) stattgefunden. Wir sollten uns das auch in Österreich zu Herzen nehmen.
Zur besseren Orientierung: Ich engagiere mich bei epicenter.works. Dieser Verein steht hinter der Kampagne „Stoppt das Überwachungspaket!“ (www.überwachungspaket.at)