Wenn das profil in der aktuellen Printausgabe davon schreibt, dass Radiohead ein „neues Meisterwerk“ vorgelegt haben, wenn im Standard hyperventiliert wird, dass die Band das „WWW Kopfstehen“ lässt, ist Skepsis angebracht.
Eigentlich wollte ich ganz entspannt die jubelnde Karawane an mir vorüber ziehen lassen und meine gut gepflegten Vorurteile einfach Vorurteile sein lassen. Dann kam ein Ex-Kollege zu meiner Party (Unternehmensgründung und nicht näher zu definierender runder Geburtstag) und brachte mir ein Geschenk: „The King of Limbs“ – auf CD gebrannt, mit farbig ausgedrucktem Cover. Das ist erfreulich. Und bemerkenswert.
Erfreulich, weil ich vor meinem Weggang aus der Firma nicht viel mit dem Kollegen zu tun hatte. Man hat sich wie man so sagt, aus den Augen… Egal. Ich habe ihn eingeladen, er ist zur Party gekommen. Das hat mich gefreut. Gefreut hat mich auch, dass er ein Geschenk mitgebracht hat, das meinen Geschmack hätte treffen können. Grundsätzlich. Die Parameter stimmten ja größtenteils: kopflastige Musik, Frei-Fischen in unterschiedlichsten musikalischen Gewässern (beginnend bei Krautrock), experimenteller Zugang (mit einem klaren Konzept dahinter). Danke, lieber Ex-Kollege! Wir sollten uns doch öfter mal sehen, uns jedenfalls nicht aus den Augen…
Bemerkenswert ist es, weil die Online-Marketing Maschinerie von Radiohead dann doch ein traditionelles CD-Präsent auf meinen Geschenktisch gebracht hat. Sicherheitshalber nenne ich den Namen des Kollegen nicht. Vielleicht steht in den Nutzungsbedingungen des ganzen „Huch“ und „Hach“, „eine Band macht ihren eigenen Online-Store für Soundfiles auf“ irgendwo, dass man die Files zwar auf CDs brennen darf, aber Weiterschenken streng verboten ist. Schlimm genug, dass er einen Benutzernamen für den Kauf eines einzelnen Albums anlegen und 26 Punkte der Terms & Conditions akzeptieren musste. Er hat sie sicher alle gelesen.
Das ist also die neue Form digitalen Musikvertriebs. Tolle Sache. Ich bin restlos überzeugt davon. Das machen jetzt sicher bald auch Bands, die keinen Namen haben: Irgend so ein „Newspaper Album + WAV“ um 39 Dollar im Netz verscherbeln. Kein Mensch weiß, was das Newspaper sein soll, aber immerhin kommt im Mai dann noch was zum Angreifen per Post. (Rein digital gibt’s das um 11 Euro.) Details dazu finden sich hier.
Jaja, die Server gehen in die Knie, die Musikjournalisten übertreffen sich gegenseitig mit Lobeshymnen über das neue Vertriebsmodell, das nur funktioniert, weil…die Band Radiohead heißt.
Ich wollte dem Ganzen ja fern bleiben, aber der Ex-Kollege (ich treffe ihn sehr gern wieder auf ein Bier) wollte meine Meinung hören. Also: Die Parameter sind o.k. Ich mag kopflastige Musik. Sie muss auch nicht schnurstracks auf ein Ziel zusteuern, darf sich entwickeln. Spielerischer Umgang mit musikalischen Vorbildern und dem eigenen Können: Gekauft! Nachdenklich darf Musik auch sein. Mag ich manchmal sogar gern.
Aber was da mit so großem Getöse unter’s Digitalvolk gebracht wird, verdient den Hype nicht. Das Album klingt, als hätte man gut ausgebildeten Musiklehrern die Aufgabe gestellt, ihren Schülern mal zu zeigen, was eine echte Harke ist. Auf rein akademischem Niveau ist das auch gelungen. Klingt wie eine Rock-Band, die keine Scheu vor digitalen Produktionsmitteln hat. Viel Erfahrung, musikhistorisches Wissen und Virtuosität. Das funktioniert, ist aber leider genauso wie das Vertriebsmodell: Bemüht und nur tragfähig, weil große Namen dahinter stehen.
Und dann ist da noch Thom Yorke, der mit Jammerstimme darüber bzw. dazu lamentiert. Er macht das, was musikalisch noch interessant sein könnte, zur echten Qual für den Hörer. Der Mann kann nicht singen. Muss er auch nicht können. Es gab und gibt viele Vokalisten ohne Sangesgabe, die Bands ein unvergleichliches Klangprofil gegeben haben. (Um ein Krautrock-Beispiel zu bemühen: Damo Suzuki. Großartig!) Aber Yorkes Gesäusel weckt nur den Wunsch nach Stille. (Zumindest sollte er die anderen Musiklehrer ungestört musizieren lassen.)
Ex-Kollege: Ich hoffe, Du bist mir nicht gram! Ich gehe gern mal wieder mit Dir auf ein Bier. (Ich schlage Dich auch als Sänger für das nächste Radiohead-Album vor.)