Mit diesem Beitrag folge ich dem Aufruf von twenty.twenty zur Blogparade. Die vierte Veranstaltung widmet sich dem Thema „Allgemeinbildung 2020“ media literacy in times of digital revolution Konkret lautet die Frage
“Was wird im Jahr 2020 unter Allgemeinbildung verstanden und wie kann diese vermittelt werden?”
Mit dem Thema beschäftige ich mich nicht nur so ein bisschen aus Hobby, sondern als Betroffener. In dem Fall bin ich betroffener Vater zweier Volksschülerinnen. Ich war ziemlich gut bei der Einschulung in ihre Media Literacy. Die beiden haben je ein Handy (bekommen mit 6 bzw. 7), je einen Nintendo TS und ein gemeinsames Netbook. Sie werden auch ganz nervös, wenn sie mit dem Netbook mal nicht „ins Internet können“. Gut so. Das ganze Wissen der Menschheit ist in der Wolke und die beiden hanteln sich sehr geschickt von Link zu Link, von einem YouTube Clip zum nächsten. Sie lernen. Die wichtigsten Seiten für Online-Games kennen sie auch schon. Ich achte schon drauf, dass alles was sie da so spielen und ansehen, pädgogisch wertvoll ist. Bestimmt. Ich mach das schon. Stolzer Vater, der ich bin, sage ich, dass meine Kinder sehr versiert sind im Umgang mit neuen Technologien. Sie verstehen neue Services schneller und intuitiver als ich. Vielleicht ist es manchmal ein Nachteil, wenn man wirklich lesen kann. Genau dieser Aspekt wurde auch bei der Pressekonferenz zum Auftakt des Kongresses „Kinder und digitale Medien“ angesprochen. Petra Gregorits von PGM Research hat ein Open Space Projekt geleitet bei dem viele der 62 Kinder, die dort teilgenommen haben, ganz selbstverständlich auch auf fremdsprachigen Websites gesurft sind. Erwachsene würden das nie tun.
Und hier kommen wir zu des Pudels Kern. Der digitale Bildungsweg österreichischer Kinder sieht aktuell so aus:
- Phase 1: Die Eltern statten die Kinder mit entsprechenden Geräten aus und zeigen ihnen, wie man sie bedient. Da kommt das Open Space Projekt von PGM zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Kinderstudie von A1 Telekom Austria.
„Erster Zugang, Einstieg durch Familie, Eltern, Geschwister Digitales Leben spielt sich in erster Linie zu Hause ab.“ (PGM Consulting)
„64% der Kinder wird von den Eltern der Umgang mit Computer und Internet erklärt, gefolgt von Geschwistern (22%), Freunden (18%) und Lehrern (15%). Was dabei im Internet gemacht oder angesehen werden darf, wird den Kindern bereits in jungen Jahren erklärt – 81% der 6- bis 10-Jährigen werden geschult.“ (A1 Telekom Austria)
- Phase 2: Die Kinder gehen ihre ersten selbstständigen Schritte, lernen schnell und intuitiv, wachsen in der digitalen Welt auf und bewegen sich dort bald sicherer als ihre Eltern. (Zumindest wenn man nur die Fertigkeiten betrachtet, wie sie Geräte und Services einzusetzen.)
- Und dann kommt die Schule: Und dort: Leere. Gähnend. Die Volksschule, ein digitales Niemandsland. Und auch später passiert in der Freizeit und zu Hause mehr an Beschäftigung mit Digitalia als in der Schule. Unser Bildungs-System ist nach wie vor größtenteils analog.
Ich habe mit der Direktorin der Volksschule gesprochen, die meine Kinder besuchen. Sie sagt, dass die Beschäftigung mit dem Digital Literacy sehr stark von den Lehrkräften abhängig ist. Jüngere Lehrkräfte haben das natürlich schon im Rahmen ihrer Ausbildung besprochen und bewegen sich auch selbst sicher in der digitalen Welt. Ältere Semester haben da so ihre Schwierigkeiten. Kein Vorwurf. Dass ich als 40jähriger so digital bin wie ich bin ist zu einem Großteil meiner beruflichen Biografie zu verdanken. Hätte ich nicht jahrelang in der Telekommunikations-Branche gearbeitet, würde ich meine Freizeit auch anders verbringen.
Zwar werden fallweise PCs im Unterricht eingesetzt. Dann arbeiten die Kinder aber maximal mit digitalen Lehrmaterialien. Ein genau abgegrenztes Gärtchen, ein digitaler Sandkasten. Die Lehrerin meiner älteren Tochter meint, dass das offene Internet erst dann Thema wird, wenn Kinder sinnerfassend lesen können. Während dessen machen die Kleinen zu Hause und in ihrer Freizeit schon alles Mögliche im Netz. Dass sinnerfassendes Lesen keine zwingende Voraussetzung ist, hat auch Petra Gregorits in ihrer Studie festgestellt. Aber wie gesagt: Kein Vorwurf. Ich verstehe schon, dass die Basiskompetenzen wie Lesen und Rechnen in der Volksschule Vorrang haben (müssen). Und dass die technische Ausstattung der Schulen nicht mit der privaten Schritt halten kann. Eine Budgetfrage. Das Paradoxe an der Situation ist nur, dass die Kinder innerhalb kürzester Zeit die Eltern überholen. Und die Lehrer sowieso.
Die Humboldts sind tot
Der klassische Prozess der Bildung war immer: Auf der einen Seite jemand, der etwas weiß und auf der anderen Seite jemand, dem Wissen vermittelt wird. Wissen ist aber kein Wert mehr. Das gesamte Wissen der Menschheit ist in der Wolke. Wer einigermaßen geschickt ist, findet es dort und kann weiter damit arbeiten. Bildung in Form von Wissensvermittlung hat ausgedient. Wichtiger wäre, Kindern die Fähigkeit zu vermitteln, mit diesem Wissen umzugehen. Doch die sind in vielen Bereichen eh schon besser als die Pädagogen oder die Eltern.
Nicht für die Schule lernen wir…
Rund um die Themen Schule und Bildung gibt es wohl die meisten Sprichwörter und Stehsätze. Der hier ist gut. Wenn man ihn ernst nimmt, muss man sich zunächst mal fragen, wie denn die Welt eigentlich sein sollte, was es bedeutet bzw. was man braucht, souverän in ihr zu leben. Dieser Blogpost ist eh schon recht lang, daher beschränke ich mich nur auf den Aspekt, wie das Internet die Gesellschaft positiv verändern kann. Und zwar nachhaltig. Zwar zweifle ich oft an der Idee der kollektiven Intelligenz und stelle eher kollektive Dummheit fest, aber es gibt doch manches, was Hoffnung gibt. Wikipedia ist so ein Beispiel. Die Crowd trägt Wissen zusammen, strukturiert, diskutiert und verlinkt. Niederschwelliger Zugang, einfaches Regelwerk. Das Verständnis dafür auszubilden, die Kreativität für diesen Prozesse zu fördern, ist für mich Teil eines neuen Bildungskonzeptes.
Schöpferisches Gemeingut oder Du sollst nicht guttenbergen!
Eine andere Idee, die erst nötig wurde als das Internet groß wurde, ist das Modell von Creative Commons. Ein einfaches Regelwerk definiert den Umgang mit Werken, die dem menschlichen Schöpfergeist entspringen. Wenn es tatsächlich stimmt, dass Märkte Gespräche sind und wir in einer Kommunikationsgesellschaft leben, ist die Frage ganz essenziell, wie man mit denen umgeht, die Wissen schaffen. Das muss auch in der Erziehung und Ausbildung reflektiert werden.
Glauben heißt nichts wissen… – Aber ich muss ja nichts mehr wissen
Das Wissen ist in der Wolke, abgespeichert und verlinkt. Wächst ständig. Dabei können Fehler passieren, da kann Falsches stehen, da können unzulässige Zusammenhänge hergestellt werden. Die Fehleranfälligkeit dessen, was da alles abgespeichert wird, ist systemimmanent. Anderseits gibt es immer auch Interpretationen von Wissen, die von politischen Geschehnissen, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig sind. Es wird daher eine Aufgabe von Bildungsinstitutionen sein, den kritischen Umgang mit dem Wissen, den Interpretationsmechanismen und dem Medium selbst auszubilden. Vor allem müssen wir und unsere Kinder auch lernen, dass Fehler passieren und dass man mit ihnen offensiv und kreativ umgehen kann.
Miteinander lernen
Wir leben in einer Welt, die komplexer ist als je zu vor. Lineares Denken hilft uns kaum, uns sicher darin zu bewegen. Das Internet hat den Zugang zu Wissen vereinfacht und bietet eine Reihe von Möglichkeiten, es ständig neu zu nutzen. Auf noch nie dagewesene Weise. Multimedial aufbereitet, individuell konfigurierbar und versehen mit Kommentaren und Interpretationshilfen von Freunden. Das große Versprechen lautet Chancengleichheit. Jeder, der technischen Zugang hat, kann einen Beitrag leisten, kann wirtschaftlichen Nutzen daraus ziehen. Das weicht klassische hierarchische Modelle auf. In der Arbeitswelt, teilweise auch in der Politik und sehr stark in der Bildung.
Bildung wird in Zukunft wohl ein kollaboratives Modell werden. Die Kinder werden Eltern und Lehrern zeigen, wie man Geräte bedient und Services nutzt und die Alten werden versuchen, die kritische Perspektive einfließen zu lassen. Aber nicht im Sinne einer Wissensvermittlung von der Lehrerkanzel herab, sondern im Dialog. Das wird verdammt schwer bis 2020.
Und hier noch das Video vom Open Space: