Whistleblowing hat nun in Österreich einen organisatorischen Rahmen bekommen. Ein eigens gegründetes Ressort für „Investigative Recherche“ der Tageszeitung Kurier ist Anlaufstelle für alles was so dringend leaken muss.
„Viele Menschen sind Augen- oder Ohrenzeugen, verfügen über Dokumente, über Bild- oder Videomaterial, das dazu beitragen kann, Ungerechtigkeiten oder Gesetzesübertretungen zu offenbaren und letztlich positive Veränderungen zu bewirken.“
(Quelle: AustroLeaks)
Ausgerechnet ein klassisches Medium richtet eine Stelle ein, an der vollkommen anonym vernadert werden kann. (Den Begriff „Vernadern“ habe ich ganz bewusst gewählt. Dazu weiter unten.)
Mein Verständnis von WikiLeaks war bislang immer: Die Veröffentlichung von Dokumenten, die von öffentlichen Institutionen oder auch Unternehmen geheim gehalten werden, ist ein Regelbruch oder wie es der Albert Steinhauser, der Justizsprecher der Grünen in einem E-Mail Interview mit mir einmal ausgedrückt hat ein „rebellischer Akt“. Rebellische Akte werden dann notwendig, wenn etablierte und institutionaliserte Kontrollmechanismen versagen. Medien sind Teil dieser Kontrollmechanismen.
Die Gründe für das Versagen (oder zumindest für die große Skepsis, die viele Menschen gegenüber Institutionen und Medien hegen) sind vielfältig. Einer davon liegt im Geschäftsmodell der Medien selbst. So sehr man sich auch um Distanz zwischen Anzeigenabteilungen und Redaktionen bemüht und diese betont, es wird immer wieder große Anzeigenkunden aus Politik und Wirtschaft geben, die das nicht ganz so sehen. Gerade wenn Medien wirtschaftlich schwierigen Zeiten erleben, wird das auch in den Redaktionen spürbar: Einerseits steigt die Notwendigkeit, sich „besser“ um seine Anzeigenkunden zu kümmern und andererseits werden Redaktionen personell ausgedünnt. Ich will hier niemand etwas unterstellen. Ich stelle ein strukturelles Problem fest. Klassische Medien haben die Finanzkrise stark zu spüren bekommen (wiewohl sich die Situation am Werbemarkt 2010 wieder etwas verbessert hat) und die Marketing-Budgets verlagern sich immer mehr in Richtung nicht-journalistischer Produkte. In der Situation wird es schwieriger, in die Hände derer zu beißen, die einen füttern.
Nun ist WikiLeaks in aller Munde und der Anglizismus „leaken“ ist ein Teil des deutschen Wortschatzes geworden. Wenn sich ein klassisches Medium des Begriffes „leaken“ bedient, halte ich das für einen Marketing-Gag. Warum?
Recherche ist eine der Hauptaufgaben von Journalismus:
Die Gründung eines Ressorts für investigative Recherche wirkt auf mich daher etwas seltsam. Beispielhaft sei hier ein Satz aus einer Stellungnahme des Österreichischen Journalisten Clubs zitiert.
„Aufgabe des investigativen Journalismus ist aber die Aufdeckung von Missständen, wozu zum
Beispiel auch die schlampige Handhabung von Sicherheitsmaßnahmen auf einem Flughafen
gehört.“ Stellungnahme zum Ministerialentwurf betreffend eines Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch zur Verhinderung von Terrorismus (Terrorismuspräventionsgesetz 2009) geändert werden sollte.
Schon bisher konnten sich Menschen sich mit Informationen an Journalisten und Medien wenden:
In meiner ehemaligen Funktion als Pressesprecher war ich des Öfteren mit der Drohung von Kunden konfrontiert, die sich ungerecht behandelt fühlten und sich deshalb „an die Medien“ wenden wollten. Viele haben das auch gemacht. Nun gibt es ein Postfach dafür. Mehr ist Austroleaks (noch) nicht.
Die Anonymität von Informanten wird in der Regel auch so gewahrt:
Auch hier plaudere ich aus dem Nähkästchen. Wenn Journalisten einen „Zund“ von empörten Kunden meines früheren Arbeitgebers bekommen haben, haben sie in heiklen Fällen nie die Identität der Informanten Preis gegeben. In rechtlich relevanten Fällen gilt das Mediengesetz.
MEDIENGESETZ § 31 Schutz des Redaktionsgeheimnisses
(1) Medieninhaber, Herausgeber, Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes haben das Recht, in einem Strafverfahren oder sonst in einem Verfahren vor Gericht oder einer Verwaltungsbehörde als Zeugen die Beantwortung von Fragen zu verweigern, die die Person Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes von Beiträgen und Unterlagen oder die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen betreffen.
(2) Das im Abs. 1 angeführte Recht darf nicht umgangen werden, insbesondere dadurch, daß dem Berechtigten die Herausgabe von Schriftstücken, Druckwerken, Bild- oder Tonträgern oder Datenträgern, Abbildungen und anderen Darstellungen mit solchem Inhalt aufgetragen wird oder diese beschlagnahmt werden.
(3) Inwieweit die Überwachung von Nachrichten von Teilnehmeranschlüssen eines Medienunternehmens und eine optische oder akustische Überwachung von Personen unter Verwendung technischer Mittel in Räumlichkeiten eines Medienunternehmens zulässig sind, bestimmt die Strafprozeßordnung.
(Quelle: jusline.at)
Siehe dazu auch eine Stellungnahme des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte:
“The protection of journalistic sources is one of the basic conditions for press freedom. Without such protection, sources may be deterred from assisting the press in informing the public on matters of public interest. As a result the vital public-watchdog role of the press may be undermined, and the ability of the press to provide accurate and reliable information be adversely affected. An order of source disclosure … cannot be compatible with Article 10 unless it is justified by an overriding requirement in the public interest.”
Dass AustroLeaks so ausdrücklich Strukturen für die anonyme Informations-Eingabe schafft, leistet aus meiner Sicht nur dem Vernaderertum Vorschub. Wenn Informationen grundsätzlich anonym gegeben werden, entzieht sich der Journalist eine wichtige Basis für die weitere Recherche. Und er kann die Beweggründe nicht nachvollziehen, warum diese Informationen zu ihm gelangt sind. Manchmal haben Menschen keine andere Wahl als Missstände anonym zu melden. Das zum Prinzip zu erheben, halte ich für problematisch. Das Prinzip sollte vielmehr sein, die Anonymität der Informanten in der Berichterstattung zu wahren.
Zum Abschluss
WikiLeaks hat viel bewegt. Es ist gut und wichtig, dass es diese Form der Rebellion gibt. Ich habe allerdings meine Zweifel, ob es auch gut ist, wenn ein Medium alleine entscheiden kann, ob und in welcher Form die geleakten Informationen veröffentlicht werden. (Das Prinzip von WikiLeaks war, die Daten für alle zur Verfügung zu stellen). Und ich halte es für bedenklich, wenn Rebellion für Marketingzwecke vereinnahmt wird.