Irgendwie ist ja alles politisch. So auch das mit der Software, dem ihr zugrunde liegenden Code und den Algorithmen dahinter. Und wie immer beim Politischen, ist es für den Großteil der Menschen harte Arbeit, sich Gehör zu verschaffen, mitzugestalten et cetera pp.
Wenn heutzutage über digitale Kompetenz gesprochen wird, dann sind damit meist Anwenderkenntnisse gemeint. Die Menschen sollen mit digitalen Werkzeugen umgehen können. Das erhöht ihre Chancen, ökonomisch erfolgreich zu sein. Doch das reicht nicht. Die Digitalisierung ist mittlerweile in die feinsten Kapillaren unseres Lebens eingedrungen. Der Cyberspace ist mit der physischen Welt verschmolzen. Und daher geht es nicht mehr nur darum, sich digitale Anwender-Skills für das eigene berufliche Fortkommen anzueignen oder – wie vielfach argumentiert wird – sie flächendeckend zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes zu vermitteln. Es geht um etwas viel Grundsätzlicheres. Es geht um Lawrence Lessigs Diktum „Code is Law“. Und das in einem weiteren Sinn als er es damals gemeint hat.
Fundamentale Fragen
Lessig hat sein Buch „Code: And Other Laws of Cyberspace” 1999 veröffentlicht. Da war das Internet noch jung und der von ihm so genannte Cyberspace hatte nur bedingten Einfluss auf das Leben der Menschen. Jedenfalls stellte der Rechtsprofessor schon damals fest, dass der Umgang mit dem Code eine fundamentale Fragestellung ist:
„It will present the greatest threat to both liberal and libertarian ideals, as well as their greatest promise. We can build, or architect, or code cyberspace to protect values that we believe are fundamental. Or we can build, or architect, or code cyberspace to allow those values to disappear. There is no middle ground.” [1]
Das war 1999 bzw. 2006 als Lessig mit “Code Version 2.0“ eine erweiterte Fassung seines Buches publiziert hat. Damals ging es ihm noch um die Frage, wie der Cyberspace reguliert werden kann. Doch den gibt es nicht mehr. Das Digitale begegnet uns längst nicht mehr nur, wenn wir auf Bildschirme starren, auf die Tasten hauen oder Touchscreens streicheln. Heute reden wir von Smart Cities, dem Internet of Things und vielen sinnvollen wie nützlichen Dingen, die erst durch Vernetzung und Digitalisierung möglich werden. Wir reden auch von Überwachung ungeheuren Ausmaßes und von Algorithmen, die unsere Wahrnehmung der Welt maßgeblich beeinflussen. Im Code und in den Algorithmen wird festgelegt, wie unsere Welt funktioniert.
Analphabeten, Anwender, Gestalter
In dieser Welt können wir auf drei Arten leben: als digitale Analphabeten, als kompetente Anwender oder als Gestalter. Dass ersteres keine wirkliche Option darstellt, versteht sich von selbst. Zweiteres scheint den meisten als durchaus erstrebenswertes Ziel. Es reicht doch, den Computerführerschein zu besitzen, um am Datenhighway vorwärts zu kommen. Wer so denkt, übersieht dabei, dass die paar wenigen Gestalter die Welt und den Datenhighway derweil so bauen, wie sie es für richtig halten. Mit ihrem Code schreiben sie Gesetze, an die wir ahnungslose Anwender uns zu halten haben. Der Perfide daran ist, dass wir den Gesetzestext in vielen Fällen gar nicht kennen. Er ist schlichtweg nicht zugänglich. Und würden wir ihn kennen, könnten wir ihn nicht lesen. Um bei diesem Bild zu bleiben: Es ist heute gang und gäbe und Standard in Demokratien, dass Gesetzestexte allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich sind (siehe etwa das RIS). Es ist auch vorgesehen, dass sich die Menschen in den Gesetzgebungsprozess einbringen können und sei es nur, dass sie alle paar Jahre Vertreter wählen, die Gesetz in ihrem Auftrag machen. Als Anwender von Software haben wir bedeutend weniger Möglichkeiten.
Gesetzestexte lesen
Ich kann Lessigs „Code is Law“ auch heute noch viel abgewinnen. Vor allem denke ich, dass diese Gesetze mittlerweile alle Menschen betreffen und nicht nur einen virtuellen Raum. Da ist es nur konsequent, dass wir uns einerseits überlegen müssen, wie wir den Gesetzgebungsprozess gestalten. Andererseits gehört aber auch dazu, dass wir in der Lage sein müssen, die Gesetzestexte zu lesen.
Das ist der Grund, warum ich die #CodeEU für eine ziemlich wichtige Sache halte und bei der Organisation mithelfe. Mittlerweile wurden in ganz Europa mehr als 700 Veranstaltungen angemeldet. In Österreich sind es 34. Es könnten noch viel mehr sein. Noch mehr Coderinnen und Coder könnten ihr Wissen weitergeben. Noch mehr Lehrerinnen und Lehrer könnten sich Programmierwissen aneignen. Noch mehr Eltern könnten ihre Kinder zu Programmierworkshops bringen. Noch mehr kompetente Anwender könnten zu Gestaltern werden. Wir alle sollten Code lesen können. Das mit der Software ist politisch.
Mehr Infos zur #CodeEU unter: CodeWeek.eu bzw. CodeWeek.at
[1] Zitiert nach der frei zugänglichen Version von „Code version 2.0“