Kürzlich berichtete die BBC: „Smart cities get their own operating system“. Das ist ein höchst spannender Ansatz, der perfekt zum Thema der nächsten Veranstaltung der Reihe twenty.twenty passt. Ich habe mir ein paar Gedanken dazu gemacht und liefere damit auch gleich einen Beitrag zur Blogparade „Smart living im Jahr 2020 – Mehr Lebensqualität für alle?“
Was kann ein Betriebssystem für eine Stadt?
Die „Steuerung“ von Städten – soferne sie überhaupt schon technologiegestützt ist – erfolgt traditionellerweise hauptsächlich entlang der einzelnen Funktionen: Verkehr, Energie, Beleuchtung etc. sind Domänen für sich. Wenn „Interworking“ stattfindet, so primär über die „Schnittstelle Mensch“.
Der BBC Artikel bringt ein Beispiel für die Funktionsweise des Urban OS:
„In the event of a fire the Urban OS might manage traffic lights so fire engines can reach the blaze swiftly.”
Das Betriebssystem bekommt also Informationen von Sensoren, die in der ganzen Stadt angebracht sind, wertet diese aus und greift steuernd auf Systeme bzw. Applikationen zu. Es vernetzt also die verschiedenen Funktionen einer Stadt. – Genauso wie das Betriebssystem von PCs oder Servern die Grundlage für die Steuerung der darauf laufenden Anwendungen bietet.
Die politische Dimension
Alles wunderbar, denkt sich einer wie ich, der dem Einsatz von Technologie zuerst immer etwas Positives abgewinnen will. Allerdings gibt es da ein paar Aspekte, auf die man ein politisches Auge werfen sollte. Bevor ich dazu komme, noch ein paar Gedanken zu den verschiedenen Playern, die das urbane Ökosystem bespielen bzw. die Relevanz für ein städtisches Betriebssystem haben:
- Die öffentliche Hand: Die Verwaltung der Städte ist letztlich dafür verantwortlich, dass die Rahmenbedingungen richtig gesetzt sind, dass alle Bausteine ineinander greifen, dass also die Stadt als Gesamtsystem funktioniert.
- Öffentliche Dienstleister im städtischen Raum: Es gibt Dienstleistungen, die die Stadt selbst anbietet. Dazu zähle ich auch Verkehrsbetriebe, die im Eigentum der Stadt stehen.
- Private Dienstleister, die Dienstleistungen im Auftrag der Stadt erbringen oder die zu einer „Grundversorgung“ beitragen: Das so zusammenzufassen, ist methodisch sicher nicht ganz sauber. Ich denke aber, dass Energieversorgungsunternehmen oder private Verkehrsunternehmen, die Leistungen im Rahmen des öffentlichen Verkehrs erbringen, ähnliche Interessenlagen haben (wenn es um ein städtisches Betriebssystem geht).
- Private Dienstleister und Unternehmen: Die vielen privaten Unternehmen, die das Funktionieren der Stadt ermöglichen.
- Einzelpersonen: In unterschiedlichsten Rollen – als Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer, als Bewohner der Stadt oder als Nutzer städtischer Dienstleistungen.
Alle diese Player sind in einer Vollausbaustufe sowohl aktive als auch passive Nutzer eines städtischen Betriebssystems. Die Abbildung all dieser Rollen kann keine rein technische Angelegenheit sein, die sich an dem orientiert, was machbar ist. – Sie ist eine politische Aufgabe.
Eckpunkte für ein „smartes“ städtisches Betriebssystem
Ich habe ein paar Überlegungen angestellt, wie es gelingen könnte, dass im Jahr 2020 möglichst viele Städte (und damit Menschen) Nutzen aus urbanen Betriebssystemen ziehen. Es sind nur erste Ideen. Einige Punkte können auch für sich alleine stehen, bei anderen gibt es wechselseitige Abhängigkeiten.
- Offene Schnittstellen: Wenn ein Betriebssystem eine Stadt als eine Art Nervensystem durchzieht, dann kann eine Vielzahl an Applikationen darauf aufsetzen. Manche davon werden von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt, andere von großen Unternehmen und wieder andere von kleinen Entwicklern. Offene Interfaces sind die Grundlage dafür, dass eine Vielfalt von Anwendungen entsteht, von denen die Bewohner und Besucher einer Stadt ebenso profitieren können wie die Wirtschaft.
- Offenes System: Auftraggeber für solche Betriebssysteme wird in der überwiegenden Zahl der Fälle wohl die öffentlichen Hand sein. In der Regel werden nur große Anbieter solche Lösungen anbieten und betreiben können. Da unzählige Sensoren und Applikationen an das OS andocken, wird ein Austausch des Betriebssystems nur mit extrem großem Aufwand möglich sein. Die Städte tun daher gut daran, entweder den Sourcecode und alle Nutzungsrechte zu erwerben; oder noch besser: die Betriebssysteme für Städte basieren überhaupt auf einem gemeinsamen Standard. Damit lassen sich Applikationen, die für eine Stadt entwickelt wurden auch in anderen Städten implementieren.
- Open Source: Gerade für den Einsatz im öffentlichen Sektor bieten Open Source Lösungen ein paar unschätzbare Vorteile. Ich gehe mal davon aus, dass das Management von Städten eine sehr komplexe Angelegenheit ist. Diese Komplexität wird sich auch in den Betriebssystem widerspiegeln müssen. Wenn viele Entwickler aus unterschiedlichen Städten an der Weiterentwicklung und neuen Releases mitarbeiten, wird das den Prozess beschleunigen und die Qualität heben. Ich denke, dass es hier zielführend ist, wenn sich mehrere (viele? alle europäischen?) Städte zusammentun und eine gemeinsame Entwicklung vorantreiben.
- Faire Lizenzmodelle: Der Einsatz von Technologien ist oft an den Einsatz großer Geldsummen gekoppelt. Wenn die Einstiegsbarriere zu hoch gelegt wird, werden nur reichere und größere Städte derartige Systeme einsetzen können. Das birgt die Gefahr eines neuen Gefälles zwischen armen und reichen Regionen in sich. Das Basis-System sollte daher für möglichst alle Städte (unabhängig von der Einwohnerzahl) erschwinglich sein. Damit sollten auch die wichtigsten Funktionalitäten verfügbar sein. (Vor allem solche, die die Wettbewerbsfähigkeit der Städte erhöhen und die positive Auswirkungen auf die Umwelt haben.) Die Unterschiede mögen dann in Art und Anzahl der Anwendungen liegen, nicht aber in der Verfügbarkeit des Systems an sich.
Nicht in die Defensive kommen
Die aktuelle Motivation der Politik, sich mit dem Thema Smart Cities auseinanderzusetzen, kommt sehr stark aus einer Defensivhaltung: 80 % der Treibhausgase werden in Städten freigesetzt und 75 % der weltweit eingesetzten Energie wird in Städten verbraucht. Smarte Technologien sind eine Antwort auf drängende Probleme. Und daher wird das Thema auch von der EU-Kommission und nationalen Regierungen getrieben. Mein Wunsch für 2020 wäre, dass wir rückblickend sagen können, wir haben smarte Technologien in Städten vorausschauend eingesetzt. In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussion am Mittwoch.
Fußnote 1: Für die Techies
Steve Lewis, der CEO von Living PlanIT, dem Unternehmen, das hinter der von der BBC thematisierten Lösung steht, hat in einem Kommentar auf Boffin Watch einige aufschlussreiche technische Infos gegeben:
„Living PlanIT and incorporates technology harvested from McLaren Electronics in one of our layers (real-time control) that we have integrated with Cisco’s hardened routers thus enabling the network to control sensing and actuation directly without intervening hardware. The higher layers of the UOS combine spatial understanding of cities with analytics and simulation objects to both improve the performance of the city (harmonizing building and infrastructure physics with materials, human use patters and underlying infrastructure) in addition to surfacing data to applications we call Place Apps – think of the city „surface“ as the new app store were city function is improved, enhanced and augmented as economic and social patters change and evolve…”
Fußnote 2:
Ich bin ein IT-Laie. Ich habe in meinem Leben noch keine Zeile Code geschrieben. Mag sein, dass meine Ausführungen technisch nicht 100 % korrekt sind. Ich bin dankbar für Hinweise!