Nächsten Dienstag findet wieder mal ein twenty.twenty statt. Das Thema lautet „Geschichten aus dem Datenwald“. Hier mein Beitrag zur Blogparade.
Wenn man heute von Datenjournalismus spricht, dann ist da die Rede von großartigen Visualisierungen wie den Afghanistan Warlogs des Guardian oder dem Projekt der Zeit, in dem anhand der Daten des Grünpolitikers Malte Spitz vor Augen geführt wurde, was die Behörden alles aus den (auch bei uns ab 1. April zu sammelnden) Vorratsdaten ablesen können. Der gelernte Österreicher gerät da leicht vom Schwärmen ins Jammern. – Beeindruckende Projekte, aber bei uns wird’s das nicht spielen! Die Redaktionen heimischer Medien sind ohnehin schon zu dünn besetzt, der österreichische Medienmarkt ist zu klein für so aufwändige Projekte, die Strukturen für derlei sind noch nicht vorhanden und und und. Fred Sinowatz wusste schon:
„Es ist alles sehr kompliziert.“
Zartes Pflänzchen Datenjournalismus
In der Tat ist der Datenjournalismus hierzulande noch ein zartes Pflänzchen, das eher abseits der Medienhäuser gedeiht. Mich haben etwa die Budgetvisualisierungen von Robert Harm (Open3) nachhaltig beeindruckt. Dann fallen mir noch die #unibrennt Twitter-Heatmaps von Max Kossatz und Gerald Bäck ein. Beides sind private Projekte ohne Anbindung an ein Medium. In der österreichischen Journalistenausbildung wird Datenjournalismus langsam zum Thema, wenngleich die Studenten laut Standard stöhnen:
„Es war unglaublich mühsam“ (siehe hier.)
Die Studie „Twitterpolitik“ von Julian Ausserhofer und Axel Maireder, deren Zwischenergebnisse ich im Dezember letzten Jahres beim Gov2.0 Camp sehen durfte, ist im weiteren Sinne auch Datenjournalismus, im engeren aber ein Forschungsprojekt.
Nicht so kompliziert denken!
Keine Frage, es ist aufwändig (und kompliziert), neue Datenquellen zu erschließen und aus den Daten so großartige Visualisierungen zu machen wie es der Guardian oder die New York Times tun. Und wenn man Datenjournalismus als zusätzlichen Aufwand bzw. als zusätzliches Angebot betrachtet, ist es doppelt schwer. Es geht auch einfacher.
Vor etwa sechs Jahren hat Adrian Holovaty den Text „A fundamental way newspaper sites need to change“ veröffentlicht. Dieser wird von vielen als Grundlage für das aktuelle Verständnis von Datenjournalismus betrachtet. Holovaty schreibt:
„Newspapers need to stop the story-centric worldview.”
Es genügt nicht, bestehende Formate ins Web zu bringen:
„Let me clarify. I don’t mean „Display a newspaper story on a cell phone.“ I don’t mean „Display a newspaper story in RSS.“ I don’t mean „Display a newspaper story on my PDA.“ Those are fine goals, but they’re examples of changing the format, not the information itself. Repurposing and aggregating information is a different story, and it requires the information to be stored atomically — and in machine-readable format.”
Holovaty spricht von “Repurposing” und nicht von neuen zusätzlichen Formaten. Ich habe mir anhand eines konkreten Beispiels überlegt, was das bedeuten kann.
Bestehende Contents und deren Vernetzung
Dafür habe ich mir den Falter ausgesucht. Vor einigen Jahren diskutierte man in Österreich über eine Aussage von Chefredakteur Armin Thurnher, der meinte
„Die meisten Webmedien, wie wir sie kennen, sind sehr stark parasitär, verlassen sich doch darauf, was die großen alten Medien für sie recherchieren.“
Dass beim Falter gut recherchiert wird, ist bekannt. Ich zum Beispiel schätze ihn auch für seinen gut recherchierten Programmteil. Kein anderes Medium bietet ein dermaßen vollständiges Kulturprogramm wie der Falter. Zu jeder Veranstaltung gibt es eine redaktionelle Beschreibung, die am Punkt ist. Da wird seit vielen Jahren ein Aufwand für einen Service betrieben, dessen Aufbereitung jegliche Weiterverwendung erschwert und letztlich auch das kommerzielle Potenzial nicht nutzt, das darin steckt. Datenjournalismus kann hier helfen. Ein paar Ideen dazu:
- Metadaten für eine „Eventkulturgeschichte Österreichs“: Die Online-Darstellung des Falter Kulturprogramms ist kürzlich zwar grafisch angepasst worden, doch die Grundstruktur wurde nur unwesentlich verändert. Der Zugang ist weitgehend linear. Es gibt die Empfehlungen der Redaktion, eine starre Zuordnung der Veranstaltungen in Kategorien (Literatur, Theater/Tanz…) und eine Textsuche. Eine Anreicherung der Veranstaltungshinweise mit zusätzlichen Metadaten würde Nutzungsmöglichkeiten eröffnen, die über den Use-Case „Ich möchte heute ins Theater gehen“ bzw. „In welchem Kino wird dieser Film gespielt?“ hinausgehen. (Sie würden natürlich auch die Suche verbessern.) Die Veranstaltungen können eine Kulturgeschichte Österreichs erzählen. In der Datenbank sind laut Falter 60.000 Events. Mich würde zum Beispiel interessieren, wie viele Live-Konzerte heimischer Rock-Musiker bzw. Bands im Jahr stattfinden. (Ich weiß schon, der Falter deckt nicht 100 % ab.) Mir fallen noch zig andere interessante Fragestellungen ein, die vernetzte Eventhinweise beantworten können. Grundlage für alle ist aber die Anreicherung mit Metadaten bei der Erfassung der Events. So nebenbei ist es damit auch möglich, die Veranstaltungshinweise in parasitäre Special-Interest-Seiten einzubinden – zum Beispiel alle Kammermusikkonzerte oder alle Vorträge zu einem bestimmten Thema.
- Visualisierung: Die einzigen Grafiken, die der Falter bei seinen Event-Seiten einsetzt, sind Anzeigen der Locations auf Google Maps. Eine Visualisierung der Events aus den unterschiedlichen Kategorien wäre überaus spannend, die regionale Verteilung von Kulturevents bzw. Themen nach Jahreszeiten ist sicher nicht nur für Kulturpolitiker aufschlussreich.
- Personalisierung: Bei der Frage, wie mit Datenjournalismus Geld zu verdienen ist, kommt sehr oft die Personalisierung als Antwort. Da ich das Programm nicht Woche für Woche akribisch durchackere, ist mir schon die eine oder andere Veranstaltung entgangen, die mich eigentlich brennend interessiert hätte. Einen Alert für alle Events im Raum Wien, die mit „Krautrock“ oder „Noise“ getaggt sind, würde ich sicher abonnieren. (Und wenn in denen ein wenig Werbung ist, würde mich das auch nicht weiter stören.
Datenjournalistischer Pragmatismus ist angesagt
Ich wollte mich mit diesem Blogpost nicht als Business-Developer beim Falter bewerben. Mir ging es eher darum, zu zeigen, dass Datenjournalismus auch in einem kleinen Markt wie Österreich möglich ist und dass die Methoden des Datenjournalismus eine sinnvolle Erweiterung für bestehende publizistische Produkte sein können mit denen auch Geld zu verdienen ist. Mit pragmatischen Ansätzen kann diese relativ neue Disziplin auch in Österreich etabliert werden. Bis 2020 werden dann sicher auch einige spektakuläre Beispiele folgen. – Und es werden auch mehr Datensätze von Politik und Verwaltung zur Verfügung stehen, die auf datenjournalistische Aufbereitung warten.
[Update, am 27. März 2012]
Obwohl ich eigentlich nicht damit gerechnet habe, hat der Falter reagiert und zwar nicht in einer persönlichen Nachricht, sondern gleich in der Zeitung. Hier der Scan (Falter, Nr. 12/12 vom 21.03.2012, Seite 4).
Zum Vergrößern des Bildes, einfach drauf klicken.
Bin gespannt, ob meine „Gedanken“ auch weiter verfolgt werden.