Das von der Regierung angekündigte Überwachungspaket höhlt das Recht auf Privatsphäre aus und ist ein weiterer Angriff auf die Basis einer offenen Gesellschaft. Doch Freiheit muss heute auf mehreren Schauplätzen gleichzeitig verteidigt werden. Ein Gastkommentar für Die Furche.
In seiner Frühzeit wohnte dem Internet ein großes Versprechen inne. Im Cyberspace kannte man keine Grenzen. Er bot unzählige Nischen, in denen sich Menschen frei und weitgehend unbeobachtet austauschen konnten – selbst zu den exotischsten Themen. Das Internet von damals beflügelte viele Konzepte, die alle das Prädikat „Open“ tragen: Open Source Software, Open Government Data oder Open Knowledge. Auch eine offene Gesellschaft im Sinne des Philosophen Karl Popper lässt sich dazuzählen. Mit zunehmender Digitalisierung unseres täglichen Lebens könnte das Versprechen von Freiheit und Offenheit in großem Stil eingelöst werden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Es droht zu erodieren. Unsere Grundrechte müssen auf drei großen Schauplätzen verteidigt werden: Datenschutz und Plattformregulierung, staatliche Überwachung und Schutz unserer Grundrechte offline.
Datenschutz und Regulierung
Manche stellen das Konzept der Privatsphäre überhaupt in Frage. Seit einigen Jahren geistert der Begriff „Post Privacy“ durch die Debatte. Die totale Informations-„Freiheit“ im Internet lasse sich ohnehin nicht verhindern, also müsse sich die Gesellschaft den technischen Gegebenheiten anpassen. So argumentiert eine Industrie, die davon lebt, Daten zu sammeln, zu verknüpfen und Profite daraus zu schlagen.
Je mehr Facebook & Co. über uns wissen, desto besser können sie uns personalisierte Inhalte und Werbung anzeigen und desto länger bleiben wir auf ihren Plattformen. Die beschworene Informationsfreiheit verkehrt sich damit allerdings ins Gegenteil. Da wir nicht wissen, wie die Algorithmen entscheiden, was uns gezeigt und was uns vorenthalten wird, sind wir in unserer Meinungsbildung und unserer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt.
Die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung, die im Mai dieses Jahres in Kraft tritt, ist ein Teil der Lösung. Man darf berechtigte Hoffnung haben, dass Verletzung der Privatsphäre in Zukunft kein Geschäftsmodell mehr darstellen wird. Unternehmen müssen nun mit empfindlichen Strafen für Datenschutzverletzungen rechnen.
Viele Themen sind aber noch offen. In der ePrivacy-Richtlinie wird festgelegt, wie unsere Spuren im Internet von der Werbewirtschaft getrackt werden dürfen. Hierzu tobt derzeit eine große Lobby-Schlacht in der EU.
Ein weiterer großer Brocken ist die „Plattformregulierung“ – also die Frage, wie mit Fake-News oder Hass-Postings in sozialen Medien umgegangen werden soll, ohne dabei das Recht auf freie Meinungsäußerung zu beschränken. Über die negativen Auswirkungen dieser Phänomene lesen wir täglich. Die Debatte über Lösungsansätze ist allerdings noch ganz am Anfang.
Die technischen Möglichkeiten wecken auch Begehrlichkeiten des Staates. Ein besonders erschreckendes Beispiel ist die Vorratsdatenspeicherung, die epicenter.works (damals noch unter dem Namen AKVorrat) bereits einmal zu Fall gebracht hat. Telekommunikationsanbieter sollten für alle Kundinnen und Kunden speichern, wer wann und wo mit wem kommuniziert hat. Im Jahr 2014 hat der Europäische Gerichtshof unsere Klage gegen diese anlasslose Massenüberwachung behandelt und entschieden, dass sie grundrechtswidrig ist. Dennoch wird immer wieder eine Neuauflage gefordert. Vorratsdatenspeicherung 2.0 war Teil des gescheiterten Überwachungspakets von Rot-Schwarz, und erst kürzlich hat der neue Justizminister Moser zu Protokoll gegeben, Österreich wolle sich die Möglichkeiten dafür „offenhalten“.
Staatliche Überwachung
Im Jänner 2017 hatte der damalige Innenminister Sobotka die Linie vorgegeben: „in allen Fragen eine lückenlose Überwachung“. Sein Überwachungspaket deckte tatsächlich so gut wie alle Lebensbereiche ab. Geplant waren mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum (mit der Aussicht, bald auch Software zur Gesichtserkennung einsetzen zu können), Erfassung von Autokennzeichen auf den Straßen, einfachere Möglichkeiten für den Lauschangriff im Auto und gleich mehrere Vorhaben für Online-Überwachung: Vorratsdatenspeicherung 2.0, IMSI-Catcher (zum Abhören von Gesprächen im Mobilfunknetz) und der Bundestrojaner.
Letzterer stellt ein schweres Sicherheitsrisiko dar. Da Online-Chats von Tatverdächtigen (etwa über WhatsApp) nicht entschlüsselt werden können, sollen sie direkt am Gerät mitgelesen werden. Die Lücken, die zum Einschleusen der Überwachungssoftware benötigt werden, stehen nicht nur der Polizei offen, sondern auch Kriminellen. Um ein paar wenige Verdächtige überwachen zu können, wird die Sicherheit aller gefährdet.
Nach neun Monaten konnten wir diesen Angriff auf unsere Freiheit mit Unterstützung aus vielen Teilen der Gesellschaft erfolgreich abwehren. Unsere Kampagne „Stoppt das Überwachungspaket!“ hatte Wirkung gezeigt. Noch nie zuvor waren so viele kritische Stellungnahmen zu einem Gesetzesvorhaben beim Parlament eingelangt. Mehr als 9.000 Menschen hatten ihre Bedenken über die Plattform www.überwachungspaket.at eingebracht. Auch der Oberste Gerichtshof, die Wirtschaftskammer, das Rote Kreuz, Amnesty International und viele mehr hatten heftige Kritik geübt. Doch die aktuelle Regierung zeigt sich unbeeindruckt und will einen neuen Anlauf unternehmen. Innenminister Kickl sagt, das neue Überwachungspaket müsse nur mehr „abgestimmt“ werden.
Das schwarz-blaue Regierungsprogramm enthält noch weitere Bedrohungen für die offene Gesellschaft: Personenbezogene Daten und Transaktionen sollen in staatlichen Datenbanken zentralisiert werden. Was der Verbesserung elektronischer Behördengänge dienen soll, ist brandgefährlich: In China werden solche Systeme bereits für umfassende Bewertung und Kontrolle der Bevölkerung genutzt.
Schutz der Grundrechte offline
Als Begründung für die Angriffe auf unsere Grundrechte dienen Terrorismus, „abstrakte Gefährder“ oder „Staatsfeinde“. Obwohl nicht belegbar ist, dass Überwachung unsere Gesellschaft sicherer macht, wird diese Illusion fleißig geschürt. Im Namen der falsch verstandenen Sicherheit wird nicht nur Überwachung ausgeweitet. Im Vorjahr wurde das Recht auf Versammlungsfreiheit massiv beschnitten und erstmals in der Zweiten Republik wurde ein Gesinnungsstraftatbestand geschaffen. Meinung kann nun strafbar sein, obwohl es bereits genügend Tatbestände gibt, um Reichsbürgern und ähnlichen Bewegungen beizukommen.
Das Recht auf Privatsphäre ist elementar für die Demokratie. Ohne dieses Recht gibt es keine freien und geheimen Wahlen mehr. Wird es eingeschränkt, werden wir zu kontrollier- und manipulierbaren Menschen. Dann sind wir nicht mehr frei. Freiheit erfährt man nicht unmittelbar. Erst wenn sie genommen wird, wissen wir, wie viel sie bedeutet. Manche nehmen das sogar in Kauf, weil sie an die falschen Sicherheitsversprechen glauben. Der eingangs erwähnte Karl Popper schrieb:
„Wir müssen für die Freiheit planen und nicht für die Sicherheit, wenn auch vielleicht aus keinem anderen Grund als dem, daß nur die Freiheit die Sicherheit sichern kann.“
Das gilt heute mehr als 1957, dem Erscheinungsjahr seines Buches „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“.