Das ist sie also, die angeblich so ideologielose Jugend. Pragmatisch bis zum geht nicht mehr. Zwischen Spassgesellschaft, prekären ökonomischen Verhältnissen und verknöcherten politischen Strukturen. Und sie probt den Aufstand. Viel wurde in den letzten Tagen darüber geschrieben, wie schnell sich die Audimax-Besetzer organisiert haben, das Social Web von Facebook über Twitter und Ustream für ihren Protest gegen die jahrelangen Verfehlungen der heimischen Bildungspolitik genutzt haben und es schaffen, mit vielen Stimmen für eine Sache zu sprechen. Eine Sache, die sie nicht nur als die ihre ansehen. Es geht nicht um eine Verbesserung für die Chancen für sich selbst, um Verbesserung der Studienbedingungen, sich rasch einen Abschluss zu erkämpfen und sich einen bequemen Platz im besser gestellten Teil der Gesellschaft zu sichern. An Österreichs Universitäten werden wieder größere Zusammenhänge gedacht.Ich war zwei Mal für einige Zeit im Audimax der Uni Wien, um mir selbst ein Bild zu machen. Was ich gesehen und erlebt habe, hat mich überrascht. Einerseits weil es einer „Bewegung“ gelungen ist, sich selbst ein Höchstmaß an Organisation zu geben – von Volxküche über Medienarbeit, Vernetzung mit anderen Institutionen und Inszenierung von Protest. Und andererseits, weil da gar nicht so kurzsichtig gedacht wird, wie es die Mehrheit den jungen Menschen unterstellt.
Das alte Humboldt-Ideal wird wieder hochgehalten: Die Idee einer Universität, die möglichst frei von herrschaftlichen und ökonomischen Zwängen über die Welt und die Gesellschaft nachdenkt. Vieles an den Studentenprotesten erinnert an die Diskussionen der Jahre 1968 und danach. Übungen in praktischer Basisdemokratie inklusive. Wer im Plenum anwesend ist, hat Sitz und Stimme. Das mag für einige Zeit gut gehen, läuft aber Gefahr, sich irgendwann tot zu laufen. („Uns fehlt das Protokoll vom Plenum am xy! – Kann sich jemand an den Beschluss zum Thema vz erinnern? Wir hatten das schon einmal abgestimmt.“) Auf Dauer wird dies nicht durchzuhalten sein.
Mich erinnert das ein wenig an einen Buchtitel von Enzensberger. In leichter Abwandlung dazu möchte man (oder richtig „gegendert“: „möchte frau“) meinen, das sei der „kurze Herbst der Anarchie“.
Was an den Universitäten Österreichs gerade passiert, ist nicht nur Resultat einer vollkommen verfehlten Bildungspolitik, die vergessen hat, dass eine Gesellschaft nicht nur gut ausgebildete Arbeitskräfte braucht, sondern auch das intellektuelle Rückgrat, sich immer wieder neu zu denken, um nicht in Selbstgefälligkeit zu erstarren. Das ist auch das Resultat der Politik einer StudentInnen-Vertretung, die sich primär als Rekrutierungsplattform etablierter Parteien versteht.
Dass genau diese etablierten Parteien jetzt mit der Bewegung nicht umgehen können, ist evident. Die „Bewegung“ ist nicht in der Lage, Verhandlungspartner zu stellen, die medial und politisch die Köpfe und Gesichter zur Verfügung stellen. Hahn & Co machen es sich leicht, indem sie mangels konkreter Ansprechpartner auf Zeit und somit auf das „Aushungern“ der Studierenden setzen. 34 Millionen da, ein paar Zugeständnisse dort und bald wird wieder Ruhe einkehren.
Ich habe als beinahe 40jähriger im Audimax der Uni Wien erlebt, dass junge Menschen fähig und vor allem bereit sind über den Tellerrand hinaus zu denken. Unabhängig davon, ob ich alle erhobenen Forderungen verstehe und gut heisse: Ich bin froh, dass es diese „Bewegung“ gibt und ich wünsche ihr, dass sie es schafft, den Notwendigkeiten der politischen und medialen Realität in Österreich so weit zu trotzen, dass von den Protesten an den Unis mehr bleibt als bloß ein kurzer Herbst der Anarchie. Die Kronen Zeitung hat mit ihrer heutigen Titelseite erstmals signalisiert, dass sie die Proteste unterstützen könnte: „Politik hält mit Jungen nicht Schritt.“ – Was wir schon immer wussten, ist jetzt also Mehrheitsmeinung.