Ein mutiger Schritt, Mr. Obama!

Ich habe einen Text für eine Rede verfasst, die Barack Obama halten könnte, wenn er den Friedensnobelpreis zurückgibt. Da mein Englisch nicht so besonders ist, habe ich das in deutscher Sprache gemacht. Google oder die NSA können aber bei der Übersetzung behilflich sein.
„Als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika durfte ich im Jahr 2009 den Friedensnobelpreis entgegennehmen. Damals war ich sehr stolz auf diese Auszeichnung. (Natürlich habe ich das nicht gezeigt und mich in der angebrachten Bescheidenheit geübt.)
In der offiziellen Begründung des Nobelpreiskomitees fand sich folgender Satz:

“His diplomacy is founded in the concept that those who are to lead the world must do so on the basis of values and attitudes that are shared by the majority of the world’s population.” (Quelle: siehe hier)

In den vergangenen Wochen musste ich erfahren, dass die USA sich viel weniger an diese Werte halten als ich gedacht habe. Das sage ich bewusst so. Natürlich weiß ich als Präsident, welche Budgets wir für Geheimdienste und Militär beschließen. Doch das sind Zahlen; und Zahlen sind abstrakt. Natürlich weiß ich, dass 2008 die Section 702 des Foreign Intelligence Surveillance Acts (FISA) beschlossen wurde, die den rechtlichen Rahmen für PRISM geschaffen hat. Doch auch das ist abstrakt. Durch die Enthüllungen Edward Snowdens und die mediale Berichterstattung darüber ist mir erst wirklich klar geworden, was das konkret heißt: Wir überschreiten eine Grenze. Eine Grenze, die ein Rechtsstaat, eine Demokratie nie und nimmer überschreiten sollte. Wir dringen in Bereiche vor, die uns nichts angehen. Wir berauben Milliarden Menschen in aller Welt ihrer Privatsphäre. Das geht zu weit.
Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte, müssen wir auf 9/11 schauen. Der Anschlag auf das World Trade Center war der größte terroristische Anschlag der Menschheitsgeschichte. Und das in einem Land, auf dessen Boden seit über 100 Jahren keine kriegerische Auseinandersetzung mehr stattgefunden hat. Das war ein Schock, ein Schock für Amerika und ein Schock für die Welt. Die Folge war, dass wir alles versuchten, diesem Land und der ganzen Welt einen weiteren Anschlag dieser Größenordnung zu ersparen. Dabei haben wir die falschen Mittel gewählt und weit übers Ziel hinausgeschossen. Ja, wir haben geschossen. Wir schießen immer noch und wir schießen mit immer schwereren Geschützen – nicht mit echten Waffen, aber mit Mitteln, die auf andere Art aber ebenso schmerzhaft verletzen. Das ganze Ausmaß dieser Verletzungen sehe ich erst heute.
Bis vor wenigen Wochen waren sie so abstrakt für mich, dass ich nicht erkannte, welchen Schaden sie anrichten: Schaden am Vertrauen in die Demokratie, in elementare Grundwerte wie Meinungs- und Medienfreiheit, Schaden an der Privatsphäre von Abermillionen unschuldiger und unbeteiligter Menschen. Was unsere Freunde in Großbritannien vergangene Woche – durchaus mit Zustimmung und Unterstützung der USA – getan haben, geht ebenso zu weit wie das was wir in den vergangenen Jahren gemacht haben. Die öffentlichkeitswirksamen Drohgebärden und Einschüchterungsversuche, mit denen Medien zum Schweigen gebracht werden sollen, die über den von uns angerichteten Schaden berichten, sind unverzeihlich. Damit agieren wir mit derselben dumpfen Aggression, die auch die 9/11 Attentäter in sich trugen. Damit zerstören wird den Glauben der Menschen in die Demokratie.
Gestern ist Bradley Chelsea Manning zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Eine junger Mann Frau, der die darauf aufmerksam machen wollte, dass die USA gegen die „values and attitudes that are shared by the majority of the world’s population“ verstoßen haben.  „Collateral Murder“, Folter durch Militärs und ähnliches sind ganz bestimmt nicht Teil eines globalen Wertekanons. Sie haben stattgefunden. Das können wir nicht totschweigen oder wegsperren. Dem müssen wir uns stellen. Dem muss ich mich als Präsident stellen. Bradley Chelsea Manning mag formal gesehen Geheimnisverrat begangen haben, aber das Motiv dafür entspringt genau jener Haltung, die das Nobelpreiskomitee gemeint hat.
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind zu Recht stolz auf ihren Freedom of Information Act, auf viele gute und wichtige Transparenzinitiativen, auf eine weitestgehend funktionierende Demokratie. Doch all das verliert seinen Wert, wenn wir bei anderen Dingen – wie etwa bei unseren Geheimdiensten – absolut intransparent agieren, wenn wir mit großangelegten Programmen die Kommunikation unschuldiger Menschen überwachen.
Als gewählter Präsident der USA trage ich die Letztverantwortung für all das, was Geheimdienste und Militär während meiner Amtszeit tun. Ich trage die Verantwortung dafür, dass sie das gefährden, worauf wir so stolz sind.
Im Jahr 2009 sagte Thorbjørn Jagland, der ehemalige Premierminister Norwegens und Vorsitzender des Komitees bei seiner Laudatio:

„We have not given the prize for what may happen in the future. We are awarding Obama for what he has done in the past year. And we are hoping this may contribute a little bit for what he is trying to do.” (Quelle: hier)

Diese Hoffnungen habe ich enttäuscht. Daher gebe ich hiermit die wichtigste Auszeichnung zurück, die ich jemals erhalten habe. Ich habe sie nicht verdient. Ich habe nicht verdient, im selben Atemzug mit Albert Schweitzer, Martin Luther King, Desmond Tutu, Mutter Teresa oder Nelson Mandela genannt zu werden.
Sie werden sich jetzt fragen, ob ich als nächstes auch als Präsident zurücktreten werde. Nein, das werde ich nicht. Ich werde die Möglichkeiten meines Amtes ausschöpfen, den Schaden, den die USA hier angerichtet haben, wieder einigermaßen gut zu machen und eine Entwicklung in eine Richtung einleiten, die einem demokratischen Grundkonsens entspricht. Leicht wird das nicht.

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