Wenn mich ein Buch von den Vorzügen des Zorns überzeugen will, dann ist das ja preaching to the converted. Vergnügen hat mir die Lektüre von „Der Zorn. Eine Hommage“ allemal bereitet. Euch, die ihr den Zorn noch nicht so schätzen könnt, lege ich diese Aufsatzsammlung dringend ans Herz! Vielleicht kann sie euch überzeugen, auch zu konvertieren.
Im Vorwort schreibt Herausgeber Helmut Ortner es gehe „vor allem darum, die produktiven Seiten des Zorns sichtbar zu machen. Psychologische, politische, sozialwissenschaftliche, kulturelle und moralische Aspekte werden – ganz und gar subjektiv, wie es der Gegenstand nun einmal erfordert, beschrieben.“ Sein Anliegen: Er will den „Zorn vom Makel des Destruktiven befreien.“ Endlich!
Die ehemalige Präsidentin des deutschen Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach wählt für ihren Beitrag die historische Perspektive, betitelt ihn mit „Zorn – Europas erstes Wort“ und meint damit die erste Zeile von Homers Ilias der zufolge Pallas Athene den Zorn des Achill besingen möge. Der Zorn ist der europäischen Geistesgeschichte tief eingeschrieben. Gerade in Zeiten wie diesen gibt es mehr als genügend Gründe, zornig zu werden.
Limbach schließt ihren Text mit den Worten:
„Moderiert durch die Vernunft und bürgerschaftlich organisiert, kann der Zorn zu einer Kraftquelle werden, die die demokratische Gesellschaft verändert. Die Antriebskraft des Zorns verdient jedoch nur dann Respekt, wenn sie mit dem Verzicht auf Gewalt verbunden ist.“
Ja, Zorn ist verdammt wichtig, nicht nur in Ägypten und der Türkei, auch in Europa und den USA – in Ländern, die sich Demokratien nennen. Er ist eine Kraft, die nicht leicht zu bändigen ist. Er ist aber auch eine Kraft, die Veränderung bewirkt und nicht (Selbst-)zerstörung wie seine Schwester die Wut.
Und damit sind wir bei der Kernaussage des wichtigsten Textes dieses Buches. Der Philosoph Jürgen Werner schreibt in „Der Zorn. Oder: Wie die Unterwelt den Kopf regiert“:
„Die Wut ist der Zorn der Hilflosen.“
In Werners Aufsatz finden sich so wunderschöne Passagen, dass ich sie einfach unkommentiert abtippe:
Über die ersten Äußerungen jedes Menschen:
„Der erste Schrei, dieser wutschnaubende Urlaut, formuliert die Anklage des Lebens, dass diese Welt nicht die beste aller Welten ist. Alle Welt es soll erfahren und auf ihre Unvollkommenheit gestoßen werden.“
„Die Wut ist eine Aggression, die nichts zu ändern vermag.“
„Der Wütende handelt ohne Ziel. Nähme er es genau, müsste er sich selbst vernichten.“
„Der Zornige kennt seinen Feind, er weiß, wer ihn verletzt hat; der Wütende kennt nur sich.“
„Jeder Mensch hat ein Recht auf Zukunft, aber er besitzt kein Recht auf eine bestimmte Zukunft. Diese kann er sich nur selber zur Aufgabe wählen.“
„Man braucht ein festes Herz, um explodieren zu können.“
„Zum Zorn gehört Größe, die Erkenntnis und Anerkenntnis einer Rechtssphäre, die niemand ungestraft missachten darf.“
„Der Zorn ist mit Macht ausgestattet, um das Recht durchzusetzen. Das ist seine vornehmste Aufgabe. Er hat den Zweck, diejenigen zu entlarven, die ihre Herrschaft sich illegitim oder illegal angemaßt haben.“
Für die „Wutbürger“ und all jene, die ihr Bücherregal Stéphane Hessels schmalem Bändchen schmücken:
„Der Bürger, genauer seine komische Deformation: der Spießbürger ersetzt den Zorn durch Empörung.“
„Der weinerliche Unterton, in dem die Empörung vorgetragen wird, reizt selber gelegentlich zum Zorn über ihre Kraftlosigkeit.“
Und darüber, dass der Zorn raus muss:
„Ein Zorn, der alt geworden ist, schlägt um in Hass.“
In dieser Essaysammlung stehen noch weiter viele kluge Sätze von klugen Menschen wie etwa Peter Glaser oder Michel de Montaigne.
Mit dem Satz von Bascha Mika, der Publizistin und ehemaligen Chefredakteurin der taz lasse ich euch jetzt allein:
„Von widerständigen Menschen, von dem Zorn, der sie treibt, lebt die Zivilgesellschaft. Ohne Zorn auf die Verhältnisse wird es keine Veränderung geben. Und ganz sicher keine Zukunft.“
P.S. Rechts neben diesem Post befindet sich ein Link zur AntiPrism-Kampagne. Ihr könnt euch weiter überwachen und eure Rechte mit Füßen treten lassen oder euch erzürnen. Ein bisschen Empörung wird nicht ausreichen. Ein Volkszorn muss her. Er ist gerechtfertigt. Und er ist gerecht.
Details zum Buch finden sich hier.