Episode 9 meiner höchstpersönlichen Musikbiografie
Johnny Cash müssten eigentlich mehrere Episoden in meiner Musikbiografie gewidmet werden. Die erste davon wäre die über meine erste käuflich erworbene Langspielplatte. Das Doppelalbum „40 Country Masterpieces: Original Artistes (Limited Edition 2)“ wurde 1978 veröffentlicht. Wenn ich – wie ich annehme – im selben Jahr meine ersten Taschengeld-Schillinge auf den Kassentisch des Seifenplatzes zählte, dann war ich sieben Jahre alt. („Seifenplatz“ nannte meine Oma die Drogeriekette, die damals auch eine Filiale in meinem Heimatort betrieb. Der richtige Name war „Ihr Platz“.) Ich kann mich noch erinnern, wie stolz ich damals war, etwas selbst ausgesucht und gekauft zu haben, zu dem meine Mutter keinen Zugang hatte. Country interessierte sie nicht. Der Name Johnny Cash sagte ihr nichts. Mir schon. Der „Man in Black“ war mit „Folsom Prison Blues“, „Rock Island Line“ und „Cry Cry Cry“ auf dem gleich drei Mal auf den kostbaren Vinylscheiben vertreten, die ich immer noch besitze. Ich fand, dass das ein guter Kauf war.
Eine andere Episode mit Johnny Cash ist mir aber fast noch wichtiger. Die trug sich 2002 zu. Damals war gerade das – aus meiner Sicht beste – Album seiner „American“-Serie herausgekommen. Cash war schon ein alter kranker Mann, dem das deutlich anzuhören war. Seine Stimme klang brüchig und fragil. Es sollte das letzte Album sein, das zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde. Ein Meisterwerk. Zum Weinen schön. Ich geb’s zu, ich habe auch geweint, als ich es zum ersten Mal gehört habe. Es war ein Sonntag und ich musste ins Büro. (Damals ging man noch ins Büro, wenn etwas zu erledigen war. E-Mails waren nur am PC und nicht von zu Hause abrufbar.) Da saß ich also. Die Heizung lief nicht. Es war kalt und dunkel. Eine gespenstische Stimmung, so allein im Großraumbüro. Ich beantwortete E-Mails und schrieb lustlos an irgendeinem Text herum. Am Tag zuvor hatte ich „American IV: The Man Comes Around“ gekauft. Johnny Cash sollte mich trösten, während ich mein Wochenende für meinen Arbeitgeber opferte. Doch die Coverversion von Hurt der Nine Inch Nails kann niemanden trösten. „I focus on the pain. The only thing that’s real.“