Eine 21jährige Frau konnte aus Afghanistan fliehen und steckt nun im Iran fest. Außenminister Schallenberg könnte meiner Schwester helfen.
Seit einigen Jahren bin ich kein Einzelkind mehr. Und das kam so: In das Haus, in dem meine Mutter wohnt, ist eine junge Familie eingezogen. Sie gehört der Volksgruppe der Hazara an und war schon zu Zeiten verfolgt, als die USA noch in Afghanistan präsent waren. Die abenteuerliche Geschichte ihrer Flucht und ihrer jahrelangen Aufenthalte in Lagern in der Türkei und in Griechenland würde hier zu weit führen. Sie hat ein gutes Ende mit einem positiven Asylbescheid in Österreich gefunden, in einem nicht immer einfachen Weg in Richtung „Integration“ und in der Nachbarschaft meiner Mutter. Sie hat die junge Familie quasi adoptiert. Somit habe ich jetzt einen Bruder. So nenne ich den Familienvater, so nennt er mich und so fühlt es sich auch an. Auch für zwei Schwestern und die Mutter läuft alles gut. Sie haben in Deutschland Asyl bekommen.
Sackgasse Iran
Nur die jüngste Schwester – die ich natürlich auch als meine Schwester betrachte, obwohl ich sie nur aus Videotelefonaten kenne – war noch in Afghanistan als die Taliban die Kontrolle in Kabul übernommen haben. Schon seit einiger Zeit versuchen wir, sie nach Europa zu holen. Jetzt musste es schneller gehen als geplant. Am 21. August hat sie es in den Iran geschafft. Dort sitzt sie nun fest. Wir können bei der österreichischen Botschaft in Teheran keinen Antrag auf ein Visum für sie stellen, weil sie als afghanische Staatsbürgerin den Antrag bei der Botschaft in Islamabad, Pakistan stellen muss. Dort kann sie aber nicht hingehen. Einerseits fehlt das Geld dafür und anderseits sind Hazara auch in Pakistan nicht sicher:
“Hazaras, who are overwhelmingly Shia Muslims, have faced hundreds of years of privation and persecution under the Sunni rulers of what are now Afghanistan and western Pakistan.” (Foreign Policy, 4. September 2021)
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“Pakistan has its own history of bloody sectarian violence against religious minorities, including Shiites.“ (Deutsche Welle, 1. Sept. 2021)
Brief an Außenminister Schallenberg
Ich habe mich daher an Außenminister Schallenberg gewandt. Er hat es in der Hand, der jungen Frau zu helfen.
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Sehr geehrter Herr Bundesminister Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.,
ich wende mich im Namen von R. M. (geboren am 5. Dez. 2000 in Bamyan, Afghanistan) an Sie. Frau M. ist Schülerin, 21 Jahre alt, unverheiratet und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Diese schiitische Minderheit wurde und wird in Afghanistan systematisch verfolgt – ganz besonders jetzt, da die sunnitischen Taliban wieder an der Macht sind. Ein Artikel in der deutschen Zeit bringt es auf den Punkt: Hazara sind derzeit die „Verletzlichsten“. [1] Noch verletzlicher sind alleinstehende Frauen, die dieser Minderheit angehören.
Die Verfolgung und Diskriminierung der Hazara ist auch der Grund, weshalb Frau M.s Familie aus Afghanistan geflohen ist und in Europa Asyl erhalten hat. Ihr Bruder Jawad M. hat mit seiner Familie aufrechten Status in Österreich. Die zwei Schwestern und die Mutter wurden in Deutschland aufgenommen. Der Vater ist bereits verstorben und der Onkel, bei dem Frau M. zuletzt gewohnt hat, ist ebenfalls auf der Flucht. Da Frau M. befürchten musste, dass sie zwangsverheiratet wird und ihr auch der Schulbesuch nicht mehr möglich war (sie war in der 12. Klasse an der Rabia Balkhi High School in Kabul, die sie nicht abschließen konnte), hat auch sie sich auf den Weg gemacht. Ihr Ziel ist Österreich, wo sie bei ihrem Bruder unterkommen kann und wo sie die Matura machen möchte. Leider hat es R. M. bislang nur bis in den Iran geschafft. Dies war die einzige Möglichkeit für sie, Afghanistan einigermaßen sicher zu verlassen.
Dort sitzt sie derzeit fest, weil sie an der österreichischen Botschaft in Teheran keinen Antrag auf ein Schülervisum stellen kann. Der Grund dafür ist, dass die Zuständigkeit für Visaanträge bei der österreichischen Botschaft in Islamabad, Pakistan liegt. Dorthin kann die junge Frau allerdings nicht gehen. Einerseits fehlt dafür das Geld und andererseits sind Hazara auch in Pakistan immer wieder von Verfolgung bedroht. Einflussreiche Kräfte in Pakistan pflegen gute Kontakte zu den Taliban.
Ich bitte Sie inständig, gemäß Fremdenpolizeigesetz 2005 § 8 tätig zu werden! Sie haben es in der Hand, die Botschaft in Teheran anzuweisen, Frau M.s Visumsantrag zu bearbeiten und dafür zu sorgen, dass sie ihren Schulabschluss in Österreich machen kann!
„(1) Die örtliche Zuständigkeit zur Vornahme von Amtshandlungen nach dem 3. Abschnitt des 4. Hauptstückes dieses Bundesgesetzes richtet sich im Ausland, sofern nichts anderes bestimmt ist, nach dem rechtmäßigen Wohnsitz des Fremden. Auf Weisung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres kann jede Vertretungsbehörde tätig werden.“ (Fremdenpolizeigesetz 2015)
Hier noch ein paar weitere Anhaltspunkte, weshalb es für eine Hazara nicht möglich ist, in Afghanistan zu bleiben: Amnesty International berichtet von Massakern und brutaler Folter an Hazara. [2] Sogar die Kronen Zeitung schreibt: „Die schiitische Volksgruppe wurde jahrzehntelang von der sunnitischen Mehrheit im Land drangsaliert, unter den Taliban wurden die Hazara systematisch verfolgt.“ [3] Das Magazin Watson fasst ein Interview mit einer Hazara-Politikerin mit folgenden Worten zusammen: „Die Minderheit der Hazara ist seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan in Todesgefahr.“ [4]
Herr Bundesminister, bitte tun Sie etwas für Frau M.! Ermöglichen Sie ihr den Schulabschluss in Österreich! Ermöglichen Sie ihr, dass sie studieren kann!
Schöne Grüße,
Mag. Werner Reiter
P.S. Ich werde mir erlauben, diesen Brief öffentlich zu machen. (Aus Gründen des Datenschutzes werde ich dafür alle personenbezogenen Informationen entfernen.)
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Fußnoten
[1] Hazara in Afghanistan: Die Verletzlichsten, Zeit.de vom 24. August 2021
[2] Afghanistan: Taliban ‚tortured and massacred‘ men fromHazara minority, BBC vom 20. August 2021
[3] Verfolgt und versklavt. Das traurigeSchicksal afghanischer Frauen, Krone.at vom 09.Sept.2021
[4] „Jede Sekunde könnten die Taliban durch die Tür kommen“: Politikerin der Hazara-Minderheit fürchtet in Afghanistan um ihr Leben, Watson vom 1. Sept. 2021