Peter Weibel – Drei CDs für einen jungen Hund

Weibel als junger Hund

Intermedium hat etwas verspätet eine Tribute CD Box zum 65. Geburtstag von Peter Weibel herausgebracht. Dieses Format wird einem wie dem Weibel nicht gerecht.

Drei Spontanassoziationen zum Künstler, Kurator und Theoretiker Peter Weibel: Nummer 1 – Peter Weibel als Hund an der Leine von Valie Export in der Wiener Kärntner Straße. Nummer 2 –  Peter Weibel als einer der federführenden Aktionisten bei Österreichs bedeutendstem Beitrag zu 1968: je nach Perspektive also „Kunst und Revolution“ oder „Uni-Ferkelei“. Und Nummer 3 – Peter Weibel als ebenso schnell wie undeutlich sprechender Kulturtheoretiker, der über Jahrzehnte hinweg das Verhältnis von Gesellschaft, Medien und Kunst theoretisch sowie in konkreten Aktionen und Interventionen reflektiert hat.
Kunstmigrant in der Medienwelt
Weibel wurde 1944 im mittlerweile ukrainischen Odessa geboren und sieht sein Leben als „typisches Migrantenschicksal“ – wie er überhaupt meint, dass Migration das wesentliche Element der europäischen Konstitution sei. Sein Kulturverständnis hatte er von Beginn an weiter gefasst als andere: Mathematikstudium mit Schwerpunkt Logik, Semiotik und Linguistik bilden das Unterfutter für die schier unüberschaubare Liste Weibel’scher Projekte als Künstler, Kurator, Wissenschaftler und Lehrender. Wer sich mit der Kunst seit den 1960ern beschäftigt, sieht Weibel oft in Gebieten angekommen, die andere erst nach ihm bevölkerten. Der Begriff Aktionismus wird ihm zugeschrieben. Er machte Medienkunst als das Equipment dafür noch aus Filmprojektoren und Tonbandgeräten bestand. Als die Kunst in der Digitalität ankam fuhr Peter Weibel in Poleposition. Neben der forscherischen Neugier zeichnet ihn bis heute eine Freude an der Provokation aus. Seine früheren Aktionen bzw. seine Aktionsanweisungen waren teilweise recht radikal. So verwendete er 1969 etwa in „mehr verkehrstote, weniger staatsbürger“  Brandsätze auf einer Überlandstraße in Göteborg. Auch heute ist ihm die Dekontextualisierung wichtigste Methode und die Perzeption das Objekt für Operationen und Interventionen.
Dokumentarische Konservierung
Die drei CDs scheitern kläglich im Versuch, der Vielgestaltigkeit und Komplexität des Weibelschen Ouevres Herr zu werden. Da werden klingende Namen von Elfriede Jelinek bis Florian Rötzer, von Harun Farocki bis Peter Sloterdijk aufgeboten und doch bleibt dieses Tribute-Album zu 2/3 blutleer. Kein Wunder: Die Aneinanderreihung von Textbeiträgen entspricht wohl nicht dem Geist von einem, der sein gesamtes Künstlerleben damit verbracht hat, die gesamte Klaviatur an medialen Möglichkeiten zu bedienen. Am deutlichsten wird das bei CD 1 bewusst, die hauptsächlich Aktionsanweisungen oder Berichte von Aktionen enthält. Auf CD 2 beleuchten dann allerlei kluge Menschen Leben und Werk des zu Ehrenden. Das geht manchmal ziemlich in die Hose (etwa wenn sich Sloterdijk für Weibel die Bezeichnung ‚weltoffener Melancholiker‘ aus der Nase zieht), manchmal trifft es aber mit wenigen Worten den Punkt (etwa bei Friederike Mayröcker: „er sei als hund durch die stadt gelaufen / er habe noch rascher und präziser gedacht als gesprochen“.
Text und Musik
Wer es sich leicht machen will, steigt gleich bei CD 3 ein. Schlicht „album“ betitelt widmet sie sich einer Seite von Peter Weibel für die das Tonträgerformat auch angemessen ist: Mit dem Hotel Morphila Orchester machte er auch Musik. „Sex in der Stadt“ ist mittlerweile ein österreichischer Klassiker aus der Einflugschneise von Punk und Wave. Auch hier klingende Namen wie etwa Chicks on Speed, F.S.K oder Krautrocklegenden wie Amon Düül II und Guru Guru. Allerfeinst ist das Cover von  „Liebe ist ein Hospital“, das Tanz Baby beigesteuert haben. Zwar lässt Olafur Elassion „Sex in der der Stadt“ einige „tektonischen Verschiebungen“ angedeihen, insgesamt ist es aber verwunderlich, dass sich kaum wirkliche Remixes der Originale auf dem Sampler befinden.
Weibel meinte einmal, dass Kultur das einzige Werkzeug sei, mit dem die Gitterstäbe der kurzen Präsenz auf Erden angesägt werden können, mit dem der zugewiesene Timeslot in Richtung Vergangenheit und Zukunft erweitert werden kann. Er hat in seinen bislang knapp 66 Lebensjahren einige Dekaden mehr erstritten als viele seiner Künstlerkollegen.
Hier ein hübsches Video von „Sex in der Stadt“:

Diesen Text habe ich für die Website der Pop-Kulturpostille The Gap verfasst. Auf www.thegap.at fristet er fürderhin sein klägliches Dasein.

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