Michel Reimon, dessen Blogposts und Tweets ich sehr gerne lese, hat am Wochenende sein Buchkonzept zum Thema „Postjournalismus“ vor- und gleichzeitig zur Diskussion gestellt. Ich sollte heute eigentlich anderes tun, aber es juckt mich ganz gewaltig, ein paar Gedanken los zu werden. Das Thema beschäftigt mich und da Reimon gefragt hat, nehme ich das jetzt zum Anlass…
Zuerst aber ein paar Sätze, damit die p. t. Leser u. a. Zeilen richtig einordnen können: Ich habe zu einer Zeit Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert, als in Österreich gerade über die Liberalisierung des Rundfunks diskutiert wurde (damals waren die „Piraten“ Menschen, die illegaler Weise täglich eine Stunde Radioprogramm in den Äther geblasen haben). Gängige Lehrmeinung war noch, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk dem Ideal der „objektiven Berichterstattung“ am nächsten komme. Was da mit der Liberalisierung noch komme, müsse intensiv erforscht werden. Heute bin ich eine von diesen verachtenswerten Kreaturen, die der PR-Branche angehören (so steht’s auch in meinem Gewerbeschein). Meine Kunden messen die Qualität meiner Arbeit unter anderem daran, ob sie „positiv“ in den Medien vorkommen. Ab und zu sind sie richtig zufrieden mit mir und beauftragen mich mit „mehr“. Und ich argumentiere dann gegen eventuelle Einkünfte und lehne Aufträge wie „eine Presseaussendung pro Monat“ ab.
Zum eigentlichen Thema: Ich will nicht glauben, dass wir im Zeitalter des Postjournalismus leben. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass sich die Grundregeln und Grundlagen für „guten Journalismus“ nicht geändert haben. Reimons Argument „Die moderne Medienökonomie beruht primär auf Werbung als Einnahmequelle“ gilt schon lange. (Und es gilt seit der Liberalisierung des Rundfunk- und Fernsehmarktes auch mehr und mehr für die öffentlich-rechtlichen Programme.)
Die Produktionsbedingungen sind härter geworden
Menschen verwenden Medien letztlich immer dazu, sich Orientierung in der Welt zu verschaffen. Ob jemand nun die Kronen Zeitung „konsumiert“, 17 Minuten Zeit im Bild schaut, einen wohl organisierten RSS Newsfeed, ein paar abonnierte Tageszeitungen oder den News-Stream, den Freunde oder Bekannte via Social Media aufbereiten nutzt, es sind zwei Dinge, die letztlich zählen sollten (ich betone: sollten!):
- Relevanz: Schaut nach unter „Nachrichtenwert“!
- Faktische Richtigkeit: Als „Konsument“ sollte ich mich darauf verlassen können, dass die Fakten in einem Medienbeitrag korrekt sind. (Und wenn nicht, bietet das immer und überall verfügbare Internetz reichlich Gelegenheit für Korrektur/Einspruch/Richtigstellung)
Wer es sich heutzutage antut, in diesem Zirkus als Hersteller journalistischer Produkte mitzuspielen, hat es nicht leicht. (Ich verwende diese umständliche Formulierung absichtlich, weil ich auch die vielen Blogger und Redakteure kleiner Webplattformen dazu zähle.)
So viele vermeintliche und echte News wie heute hat es dank der 24/7 Online-Maschinerie noch nie gegeben. Die Anzahl der „Quellen“ ist ins Unermessliche gestiegen. Zeitzonen zählen nichts mehr und persönliche Kontakte und Insider-Quellen können von Journalistinnen und Journalisten nicht mehr in dem Maße gepflegt werden wie früher. Wer permanent lesen muss, was andere schreiben, was gerade aktuell ist, was in welcher Form aufgenommen wird und darauf reagieren muss, kann keine „Geschichten“ schreiben, kann vor allem nicht mehr prüfen, ob die Jubelmeldungen, die Spin-Doktoren, PR-Abteilungen oder Berater wie ich verteilen die ganze Wahrheit sind. Der Druck ist extrem hoch: Und wer Fehler macht, wird geprügelt. Das ist brutal. Vor allem für diejenigen, die in der Maschinerie Geld verdienen müssen.
„Niemand ist gern Postjournalist, niemand lässt sich gern von Konzernen, PR-Abteilungen und dem eigenen Management unter Druck setzen. Aber es geschieht und wer nicht mitmacht, verliert oft den Job. Das Buch soll also nicht nur Medien- und Journalistenschelte sein, sondern die Ausbeutung der JournalistInnen zum Thema machen.“
Das Resultat dieses Prozesses ist die Nivellierung. Was von ein paar anderen Medien als relevant und richtig erachtet wurde, muss auch in meinem Medium stehen. Wenn irgendwie noch Zeit bleibt, dann wird das Original umformuliert. Und am Ende: Überall der gleiche Mist. (Interessant ist nur mehr, wo er früher erschienen ist.) Der Wettbewerb ist hart.
Ich bin im Zweifelsfall immer für die Ausgebeuteten. Und ich weiß auch von vielen Journalistinnen und Journalisten, dass sie anders schreiben würden, wenn ihr Arbeitgeber nicht in einem Umfeld agieren würde, das eben so ist wie es ist. Aber jetzt komme ich. Ich bin nämlich auch Mediennutzer und ich bin der Meinung:
Ich stelle jetzt mal die These auf, dass auch die Kronen Zeitung gemeint ist, wenn Michel Reimon von einer Berichterstattung schreibt, die „zwar noch alle äußerlichen Merkmale von Journalismus aufweist, aber eine andere Funktion hat, nämlich bestimmte Zielgruppen zu erreichen und dann zur Werbung zu lenken.“ Die Kronen Zeitung ist relativ gesehen eine der auflagenstärksten Zeitungen der Welt. In Österreich macht sie Meinung. Dennoch, mit wem auch immer ich diskutiere: Ich höre, dass er/sie die Meinung der Kronen Zeitung nicht teilt und ich frage mich: Woher kennt sie/er die Meinung der Kronen Zeitung? Reimon schreibt: „ Das Publikum ist damit nicht mehr die Kundschaft, sondern das Produkt, das verkauft wird.“ Und das Publikum lässt das zu. Es gibt genügend Alternativen, sowohl im Umfeld der klassischen Medienhäuser als auch außerhalb. Schon richtig, die Konsumenten sind das Produkt, das in Medien gehandelt wird. Bis zu einem gewissen Grad haben sie es in der Hand, zu bestimmen wo mit ihnen gehandelt wird.
Geehrter Michel Reimon, hier also meine Inputs:
Vorweg: Mir fehlt ein wichtiges Kapitel, nämlich eines über Journalistenpersönlichkeiten. Wie gesagt, will ich nicht glauben, dass sich Journalismus per se gewandelt hat. Ein Beleg dafür mag sein, dass klassische Journalisten auch in Social Media die größten Reichweiten (die größte Glaubwürdigkeit?) haben. Als Beispiele seien hier Armin Wolf und Karim El-Gawhary erwähnt. Ersterer schafft es mit seinen Twitter-Aktivitäten, Menschen an ein Medium bzw. ein Medienhaus zu binden, die mit den Old-Media wenig am Hut haben. Zweiterer ist als Persönlichkeit (ich möchte ja den Begriff „Brand“ nicht verwenden) bekannt und das ganz unabhängig von den vielen Medien, in denen er publiziert (taz, Die Presse, ORF, Twitter, Facebook, sein taz-Blog Arabesken). Um hier nicht nur Beispiele aus Österreich bzw. dem deutschen Sprachraum zu bringen: In den USA ist gerade ein Fall vor Gericht, in dem es darum geht, wem die Twitter-Follower gehören, die der Journalist Noah Kravitz vor seinem Arbeitgeberwechsel mit dem Account @phonedog_noah bespielt hat. (Phone Dog hieß der frühere Arbeitgeber. Kravits hat seinen Nick nach seinem Wechsel kurzerhand in @noahkravitz geändert.) Die Richterin hat bereits angekündigt, dass eine Entscheidung nicht vor 2012 zu erwarten ist.
Das Persönlichkeits-Thema hat aber auch noch eine zweite Seite: Nicht wenige Medienhäuser beschäftigen Menschen, die sich in der Blogosphäre einen Namen gemacht haben. (Beispiele: Sascha Lobo beim Spiegel oder Robert Misik beim Standard). Nun wird nicht jede oder jeder, der oder die sich journalistisch betätigen will, die Chance bekommen, sich so eine strahlende Marke aufzubauen und viele werden in diesem Business weiterhin ausgebeutet. – Aber gerade deshalb halte ich es für wichtig und sinnvoll, diesem Phänomen in einem Buch über (Post-) Journalismus ein paar Gedanken zu widmen.
Ad. „1. Warnhinweis: Postjournalismus kann Ihre Gesundheit gefährden“
Die Pharma- (oder etwas breiter gefasst, die Gesundheits- bzw. Wellnessindustrie) ist nicht die einzige Quelle für unreflektierten Journalismus. Die Elektronik-Industrie hat hier auch einiges zu bieten. (Als Beispiel sei hier nur die mediale Hysterie genannt, die sich um alles entspinnt, was aus dem Hause Apple kommt.)
Ad. „2. Die postjournalistische Medienwelt“
„Hier wird auch auf die radikale Neuerung von Social Media wie Facebook eingegangen, das gar keinen Inhalt mehr selbst produziert – und nur noch die Werbung verkauft.Frage: Braucht dieses Kapitel auch einen historischen Abschitt über die Entstehung und Geschichte des Journalismus? Sozusagen vom Präjournalismus zum Postjournalismus?“
Hier sollte IMHO schon auch darauf eingegangen werden, dass die Menschen, die in solchen Netzwerken Reichweite und auch Relevanz haben, sehr wohl auch Content produzieren. Blogposts oder Facebook-Einträge sind auch Recherchequellen für Journalistinnen und Journalisten. Die Postings auf einer Facebook-Wall eines Unternehmens sind oftmals auch originärer Inhalt (schlag nach unter Shitstorm) und oft gibt es auch Ereignisse die sich rein in Social Media abspielen (als Beispiel: @Failmann).
Ad. „3. Zwischen Praktika und Prekariat“
„Die Folge davon, dass guter Journalismus sich betriebswirtschaftlich kaum noch rechnet, erleben JournalistInnen längst am eigenen Leib: Feste Anstellungen werden immer seltener, viele pendeln jahrelang von Praktikum zu Praktikum oder haben mehrere prekäre Arbeitsverhältnisse parallel. Die Selbstausbeutung von JournalistInnen in Qualitätsmedien wie der deutschen taz ist legendär. Die Zukunftsaussichten sind düster, daher flüchten immer mehr gute Journalisten irgendwann in die PR, um eine Familie ernähren zu können.“
Wunderbar, wenn PR Leute ihr Handwerk bei Medien lernen. Schlagt mich, aber ich glaube, dass PR per se nicht schlecht sind. Wir sollten uns eher darüber unterhalten, wie sie eingesetzt werden.
Ad. „4. Finanzmedien und Börsenwahn“
„Kaum eine Nachrichtensendung kommt noch ohne die täglichen Änderungen der internationalen Aktienindizes aus – nicht, weil sie für unser tägliches Leben wichtig wären, sondern weil die Werbewirtschaft dieses Umfeld für ihre Kunden aus der Finanzbranche fordert. Der Einfluss auf Politik und Demokratie ist verheerend und wird in diesem Kapitel nachgezeichnet.“
Ja bitte, ich will wissen warum sich Journalisten permanent fragen, wie „die Märkte“ auf dieses oder jenes reagieren. Vielleicht hilft Reimons Buch ein wenig mit, das Bewusstsein zu schärfen, dass die Akteure auf den Märkten Menschen sind.
Ad. „5. Propaganda, Populismus, politische PR
„Die immer schwächer besetzen und ausgebildeten Redaktionen sind auch im Interesse der Politik: Es wird immer leichter, die eigenen Meldungen unhinterfragt in Medien zu platzieren. Das Anfüttern von Medien mit öffentlichen Inseraten, wie es derzeit in Österreich massiv in der Kritik steht, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Dieses Kapitel soll auch die Professionalisierung politischer PR in den letzten 100 Jahren beleuchten.“
Siehe oben.
Ad. „6. Die Oligarchen“
„Dieses Kapitel zeigt die Konzentration der internationalen Medienkonzerne und, an Beispielen, daraus resultierende Probleme bei der Berichterstattung über die Medienbranche selbst.“
Siehe oben. – Ich bin als Medienkonsument Teil der Maschinerie.
Ad. „7. Medienmassen“
„Welche Möglichkeiten der Gegenwehr haben Journalisten im derzeitigen System? Können Social Media, Blogger und nicht-kommerzielle Medien für jene Aufklärung sorgen, die postjournalistische Medien nicht mehr bieten? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen wären dabei hilfreich?“
Ich bin zwar kein Experte, aber so weit ich weiß, liegt hierzulande bei der kollektivvertraglichen Einordnung von Online-Journalisten einiges im Argen. Und ja, ich bin überzeugt, dass Social Media teilweise als Korrektiv fungieren können.
Ad. „8. Eine politische Theorie der Informationsgesellschaft“
„Politik ist die Koordination von Menschen und die Verfügbarkeit, Aufbereitung und Steuerung von Information ist ein zentraler Aspekt dabei. Demokratie kann nur in einem gemeinsamen Kommunikationsraum bestehen – weshalb sie z.B. in der Antike auf Städte beschränkt war und erst in der frühen Neuzeit über Delegationsmechanismen auf Nationalstaaten ausgedehnt werden konnte. Die ersten sechs Kapitel haben gezeigt: Jede Veränderung unseres Mediensystems ist auch eine Veränderung unseres realen politischen Systems. In diesem Kapitel wird diese Erkenntnis in einen systematischen theoretischen Zusammenhang gebracht.“
Auf das Kapitel freue ich mich besonders.
Mein Fazit:
Über die Krise der althergebrachten Geschäftsmodelle der Medien wurde schon viel geschrieben. Die macht sich natürlich auch bei den Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten bemerkbar. Ich würde mir wünschen, dass ein Buch über das Thema auch aufzeigt, wie Journalismus das politische System zum Positiven verändern kann. Als Beispiel sei hier der Datenjournalismus genannt, der eine gute Möglichkeit bietet, einerseits „echte“ neue Geschichten zu liefern und der andererseits eine Interpretationsleistung für komplexe Sachverhalte bringen kann. Beispiele gibt es hier. (Auch das ist etwas, was Journalismus schon immer gemacht hat.)