Ich hatte gestern die Ehre, bei der #ur21 Diskussion „Der Plan von der Abschaffung der Privatkopie“ am Podium zu sitzen. Eine gute Zusammenfassung von Patrick Dax gibt es auf futurezone.at zu lesen. Da ich nach wie vor nicht gern vor Publikum spreche, habe ich hier ein paar Gedanken zusammengetragen, die ich mehr oder weniger so auch in meinem Einleitungs-Statement zum Besten gegeben habe.
Zwei wichtige Gedanken vorab
Mag sein, dass das eh allgemein bekannt ist, dennoch sollten wir uns das von Zeit zu Zeit wieder vor Augen führen.
- Kommunikation und Austausch sind das Wesen von Kunst und Kultur. Kein Kunstwerk ist jemals im leeren Raum, in einem kulturellen Vakuum entstanden. Kunstwerke oder „eigentümliche geistige Schöpfungen“ beziehen sich immer auf andere. Kultur lebt vom Zitieren, Persiflieren und Paraphrasieren. Heute nennt man das Mashups oder Sampling. Das Teilen von Kultur ist Bestandteil jedes kulturellen Fortschritts.
- „Geistiges Eigentum“ ist eine Hilfskonstruktion, die Kunst einen Warencharakter zuschreibt, den sie nicht hat. Kunst ist kein materielles Gut, keine Ware, die „verbraucht“ wird wenn man sie genießt. Im Gegenteil: Sie gewinnt an Wert, je öfter sie genossen wird. Auch das (digitale) Kopieren von Kunst und Kultur stellt keine Wertminderung dar, da sich Original und Kopie nicht unterscheiden. Diese Hilfskonstruktion wurde nur geschaffen, um ein Modell zu finden, wie Künstler für ihre Arbeit entlohnt werden. Bei bildender Kunst funktioniert diese Konstruktion ganz gut. Bei digitaler Kunst zeigt sie ihre Schwächen. (Nur so nebenbei: In anderen Kulturen – etwa in China – galt das Kopieren von Kunstwerken als Beweis für die Wertschätzung des Meisters.)
Obwohl wahrscheinlich viele diesen beiden Gedanken folgen können hat sich ein riesiger Wirtschaftszweig entwickelt, der sie ignoriert. Kunst und Kultur sind ein Geschäft, bei dem viele Menschen davon leben, dass Ideen als Waren gehandelt werden. Einige leben sehr gut davon, die meisten aber mehr schlecht als recht. Durch die Digitalisierung treten Verschiebungen in diesem Wirtschaftszweig auf, die die alt bekannten Widersprüche deutlicher zu Tage treten lassen. Die will man aber nicht auflösen. Im Gegenteil: Man versucht, die alten Geschäftsmodelle abzusichern.
Heute dominieren große Konzerne und Verwertungsgesellschaften die Debatte über das Urheberrecht. Viele Künstler folgen deren Argumentation für eine Verschärfung, weil es zu wenige alternative Modelle gibt, die ihnen tatsächlich auch Einkünfte sichern können.
Bei den aktuellen Bestrebungen zur Reform des Urheberrechts oder zur Einführung von Handelsabkommen wie ACTA bleibt eine Gruppe auf der Strecke: Das Publikum.
Die Freiheit der Kunst
Das lässt sich auch an einem Artikel aus der Bundesverfassung Österreichs ablesen: Im Artikel 17a unseres Staatsgrundgesetzes steht:
Vom Publikum, von den Usern – ich sage absichtlich nicht „Konsumenten“ – ist da nicht die Rede.*
Bislang war es nicht so schlimm, dass die Rechte des Publikums nicht so genau definiert waren. Die Notwendigkeit wächst aber. Das Teilen von Kultur ist gängige Praxis im Netz, das Bild der passiven Konsumenten ist obsolet geworden und damit müssen wir uns Gedanken über die Rechte derer machen, die Kultur aktiv nutzen.
Das passiert aber nicht. Im Gegenteil! Die aktuell diskutierten Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung kollidieren sogar mit allgemeinen Bürgerrechten. Immer öfter kommen Ideen und Vorschläge, die auf Verbote, Zensur oder Überwachung hinauslaufen (z.B. die Verwendung von Vorratsdaten oder solche Irrsinnigkeiten wie Hadopi in Frankreich oder das Abmahnwesen in Deutschland). Da werden Menschen kriminalisiert, die nichts anderes tun als das, was weitgehend Common Sense ist.
Und was eigentlich noch viel bedenklicher ist:
Das Internet – mittlerweile der wichtigste Kulturraum – soll beschnitten werden. Da werden also nicht nur die Bürgerrechte angegriffen, im Namen der Kunst wird der Kunstraum selbst beschränkt.
Alternativen?
Nun glaube ich nicht, dass wir das System von einem auf den anderen Tag ändern können. Sehr wohl glaube ich aber, dass wir – und damit meine ich alle relevanten Player in dem System – an Alternativen arbeiten müssen, anstatt das, was augenscheinlich nicht mehr funktioniert, mit Druck, Verboten und Einschüchterung zu zementieren. Die Piratenpartei Deutschlands hat in ihren Forderungen eine ganze Reihe von Möglichkeiten und Geschäftsmodellen aufgelistet: Werbefinanzierung, Verkauf von knappen Gütern, Vermarktung des Künstlers statt des Kunstwerks, Freemium (über ein Basisangebot hinausgehende, kostenpflichtige Dienste), Social Payment, Crowdfunding, oder Öffentliche Gelder zur Förderung von Künstlern und zur Erfüllung des Bildungsauftrages. Alles Modelle, die schon vorhanden sind, die gefördert und weiterentwickelt werden könnten. Es fehlt nur am Willen.
Ich möchte der Liste noch zwei Punkte hinzufügen: die Kulturwertmark, die gestern auch Thema war und die Cultural Commons Collecting Society, eine eben in Gründung befindliche alternative Verwertungsgesellschaft, die laut Eigendefinition „das Internet als Chance sieht und nicht als Problem“.
Ein Problem, das keines ist?
Nun gibt es immer wieder Studien, die belegen, dass das kriminalisierte Teilen von Kultur gar nicht die Effekte hat, die die Industrie immer so lautstark beweint. Menschen, die das eine oder andere Musikstück oder den einen oder anderen Film im Netz gratis beziehen, kaufen genauso viel wie andere, die das nicht tun. Hier ein paar Zitate aus einer aktuellen Studie der Columbia University. (Befragt wurden 1.000 Internet-User in Deutschland und etwas über 2.000 in den USA)
Copying and online file sharing are mostly complementary to legal acquisition, not strong substitutes for it. There is no significant difference in buying habits between those who copy or file share and those who do not.
P2P file sharers, in particular, are heavy legal media consumers. They buy as many legal DVDs, CDs, and subscription media services as their non-file-sharing, Internet-using counterparts. In the US, they buy roughly 30% more digital music. They also display marginally higher willingness to pay.
Am interessantesten finde ich aber die Aussage über den “Netflix effect”:
In the US 48% of those who do both say that they copy and download less music because of the growth of those services. For TV/movies the “Netflix effect” is 40%. In Germany our limited data for music streaming puts this number at 52%.
tl;dr
Hätte sich die Industrie früher auf zeitgemäße Modelle wie Spotify oder Netflix eingelassen, hätte sie heute wahrscheinlich kein so großes Problem und wir müssten nicht über neue Wege der Rechtsdurchsetzung diskutieren, die allgemeine Bürgerrechte einschränken.
Wir müssten dann auch nicht darauf hinweisen, dass mit solchen Ideen der Kulturraum Internet selbst beschnitten wird.
* Ich bedanke mich ganz herzlich bei Felix Mautner für diesen Gedanken.