Sehr geehrter Herr Rainer,
ich möchte eigentlich nicht mehr allzu viele Worte über Ihren unappetitlichen Artikel „Freiheit für den Mann“ verlieren. Die Kommentare unter Ihrem Blogpost zu dem Themenkomplex Strauss-Kahn/Kachelmann sprechen eh für sich. Mögen noch viele weitere dazu kommen!
Erlauben Sie mir aber ein paar persönliche Worte zu meinem Abschied von profil: Ich habe nach langen Jahren mein profil-Abo gekündigt. Sie werden es schon erraten haben: Ihr letzter Blogeintrag hat mir die Entscheidung erleichtert. Er ist aber nur der Höhepunkt einer Entwicklung, die ich schon seit geraumer Zeit bei profil beobachte. Das „unabhängige Nachrichtenmagazin“, das sich so damit brüstet, Qualitätsjournalismus zu bieten und als Beweis dafür die Auszeichnungen zum Magazin des Jahres 2009 bzw. 2010 ins Treffen führt, hat mit seinen Covers und seinen Titelstories einen Weg eingeschlagen, den es nicht nötig hätte und der mir mittlerweile schon vorkommt wie eine Kampagne der Kronen Zeitung zu Dichands besten Zeiten. Und ich habe den zwingenden Verdacht, dass das auf die Person des profil-Herausgebers und Co-Chefredakteurs zurückzuführen ist.
Stellen Sie sich vor, mein Unmut über diese Entwicklung hat nicht einmal etwas mit Prüderie zu tun. Ich kann mit „Sex sells!“ als Marketing-Konzept ganz gut leben. Was mir aber wirklich sauer aufstößt, ist die Tatsache, dass sich beim profil eine biologistische Betrachtungsweise des Themenkomplexes Sexualität und Macht durchsetzt, die nur noch abstoßend ist. Der Diskurs, was im Verhältnis zwischen Männern und Frauen biologisch erklärbar und was davon gesellschaftlich determiniert ist, füllt Bände. Mein Verständnis von Zivilisation ist allerdings, dass man biologische Determinanten nicht als Rechtfertigung für soziale Missstände verwenden sollte.
Wie steht so schön im aktuellen Heft, in dem auf Ihren Blogpost hingewiesen wird?
Herr Rainer, es wundert mich nicht! Weil Menschen wie sie an neuralgischen Positionen der Gesellschaft sitzen und ihre Energie darauf verwenden, den Status quo festzuschreiben. Sie scheinen es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, den testosterongetriebenen Macho als Motor der Zivilisation auf allen Ebenen durchzuargumentieren: „Mit lätzchenhäkelnden Schwanzträgern hätte die Menschheit ungefähr so viel Bestand gehabt wie die Republik Kugelmugel.“ Jaja, und der Krieg ist wahrscheinlich aller Dinge Vater. Dass Sie Elfriede Hammerl als Autorin beschäftigen, ändert am Gesamteindruck leider auch nichts. Ihre verschwitzten Männerfantasien und ihr narzisstisches Gehabe stehen zu sehr im Vordergrund. – Ein Blick auf die Covergalerie des profil genügt.
Meine besonderen Lieblinge:
„Wozu Schönheit? – Die (ungerechte) Sonnenseite der Evolution: besserer Sex, mehr Geld und Glück“ (2011/18)
„Was macht den Mann zum Mann? Das Sexualhormon Testosteron schafft Kraft, Trieb und Wahnsinn und unterläuft feministische Gleichmacherei“ (2010/20)
Doch das ist alles nichts im Vergleich zum aktuellen Cover. Was auch immer bei Strauss-Kahn oder Schwarzenegger genau vorgefallen ist: Es hat nicht nur mit Geschlechtsverkehr zu tun, sondern auch mit gesellschaftlich hoch stehenden Männern und weniger hoch gestellten Frauen. Also mit Macht. Ich werde kein Geld mehr für ein Magazin ausgeben, dessen Herausgeber und Chefredakteur es sich zur Aufgabe gemacht hat, das mit biologistischen Argumenten zu untermauern und der Machtausübung in Form von Sex mit solchen Wichsvorlagen weichzeichnet!
Mir geht es hier nicht um die juristisch belegte oder (nicht) belegbare Schuld von Strauss-Kahn, Kachelmann et. al sondern um den argumentativen Zugang zu der Thematik. Im profil-Leitartikel meint Sven Gächter:
„Deshalb werden die Fälle Strauss-Kahn, Kachelmann, Schwarzenegger, Weiner etc. auch zu keinem zivilisatorischen Erkenntnisgewinn führen, sondern zu einer Zementierung der allerdumpfsten Klischees: Männer sind Schweine – Frauen sind Luder.“
Ganz genau! Und das nicht zuletzt, weil Christian Rainer und andere das so haben wollen.
P.S. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass viele gute Journalisten beim profil arbeiten und dass das Magazin nach wie vor gute Geschichten bietet. (Jetzt könnte man trefflich darüber streiten, ob es früher mehr waren, aber das tut in dem Fall nichts zur Sache.)
P.P.S. Die Fotomontage ist ein kleines Abschiedsgeschenk für Sie.