Sehr geehrter Herr Schönborn,
ich nehme an, dass man Sie korrekt mit Eminenz ansprechen muss. Ganz sicher bin ich da nicht. Ich trage nämlich schon länger zu dem bei, was Sie heute quasi als Segen bezeichnet haben: Ich bin Entscheidungs-Austreter.
Zwar sei die Zahl von 87.393 Kirchenaustritten eine schmerzliche Tatsache, gleichzeitig aber ein „Zeichen neuer Freiheit“, haben Sie Ihren Schäfchen via Kathpress ausrichten lassen. Der Weg geht „vom Traditionschristentum zum Entscheidungschristentum“. Da entscheiden sich doch tatsächlich noch ein paar Menschen, bei Ihrer Institution zu bleiben, obwohl Sie jahrelang zugesehen oder sogar mitgewirkt haben, wie Missbrauchsfälle unter den Tisch gekehrt werden! Da entscheiden sich doch tatsächlich noch ein paar, Kirchenbeiträge zu bezahlen! Eine neue Freiheit für Sie?
Geht’s noch, Herr Schönborn? Jeder vernünftige Manager würde alles versuchen, die wirtschaftliche Basis seines Unternehmens zu erhalten. In Ihrem Fall würde das bedeuten, dass Sie Missbrauchsfälle tatsächlich aufklären (lassen), ein klares öffentliches Schuldbekenntnis ablegen, die Täter zur Rechenschaft ziehen und die Opfer entsprechend entschädigen oder Ihnen Therapien ermöglichen. – Aber Sie sprechen von neuer Freiheit durch Mitgliederschwund.
Ich will nicht über Religion mit Ihnen diskutieren. Gegen die habe ich mich längst entschieden. Aber ich möchten Ihnen als Manager einen Tipp geben: Wer seinem Unternehmen das Wasser (in Ihrem Fall die Mitgliedsbeiträge) abgräbt, ist ein beschissener Manager. Ich habe heute von über 5 Millionen Euro gehört, die Ihnen durch die Austritte 2010 entgehen.
Ein Aufsichtsrat eines Unternehmens würde Ihren Vertrag nicht verlängern und Sie nicht einmal in höhere Positionen wegloben. Handeln Sie wenigstens einmal nach den Prinzipien der Vernunft!
Ihr Werner Reiter