Es gäbe viel zu berichten über Tag 2 des 31c3. Da andere das aber ohnehin schon getan haben, möchte ich mich auf ein paar Gedanken zu einer Session beschränken, die mich sehr beschäftigt.
Jacob „Jake“ Appelbaum und Laura Poitras haben in einem brechend vollen Raum über „Reconstructing narratives“ gesprochen. Im Grunde genommen war es die Launchveranstaltung für zwei Geschichten, die sie gemeinsam mit anderen für den Spiegel gemacht haben und die kurz vor ihrem Vortrag publiziert wurden. In der einen geht es darum, wie weit die NSA bei ihren Bestrebungen ist, verschiedene verschlüsselte Services bzw. Kryptografie zu knacken. In der anderen geht es um geheime Todeslisten, die unter der Präsidentschaft des Friedensnobelpreisträgers des Jahres 2009 erstellt wurden.
Kein Zweifel: Beide Stories sind randvoll mit politischen Sprengstoff. Erstere passt auch perfekt in das Narrativ des #31c3, da sie die beruhigende Botschaft in sich trägt, dass wir der NSA nicht ganz schutzlos ausgeliefert sind und sie nach wie vor nicht in der Lage ist PGP, OTR, Tor und Trail zu knacken (sofern diese korrekt eingesetzt werden). Davon war gestern viel die Rede. Obamas Todeslisten bekamen nicht so viel Aufmerksamkeit. Einerseits lag das sicher daran, das Kryptografie als Thema besser in den Kongress passt und auch Entwickler anwesend waren, die die genannten Projekte vorantreiben. Appelbaum ist einer von ihnen. Er arbeitet am Tor Project mit. Er ist aber auch noch etwas anderes: Er ist ein Popstar. Eine Rampensau, die sehr genau versteht, ihre Botschaften zu transportieren und sich selbst zu inszenieren. Appelbaum hat Laura Poitras gestern in den Schatten gespielt.
Popstar
Und damit bin ich beim Kernpunkt meiner Überlegungen angelangt. Die „Szene“ (ein besseres Wort fällt mir dafür nicht ein) der Netzaktivisten und Hacker hat bislang wenige Personen hervorgebracht, die Starpotenzial haben. Sie hat sich auch immer gegen das Starprinzip gestemmt. Das Internet und die ihr innewohnenden guten Kräfte sollten wie eine Hydra sein. Wenn man ihr den Kopf abschlägt, sind sofort andere da, die weitersprechen, weiterprogrammieren und die Arbeit der guten Kräfte fortsetzen. Das verträgt sich nicht mit dem Starprinzip. Die Piratenparteien, die aus dieser Szene hervorgegangen sind, haben lange Zeit versucht, mit der Haltung „Themen statt Köpfe“ Politik zu machen. Das hat nicht funktioniert, so sehr sie sich auch bemüht haben. In Österreich wurde Christopher Clay von Ingrid Brodnig (der „Themen statt Köpfe“ durchaus bekannt sein dürfte) im Falter als „Posterboy der Piraten“ bezeichnet und Mario Wieser musste bei der Nationalratswahl den Spitzenkandidaten mimen, obwohl doch ein Team für die Piraten zur Wahl angetreten war. Die Beispiele deutscher (Ex-)Piraten brauche ich nicht zu erwähnen. Nun denn: Jakob Appelbaum hat sich nicht nur durch seine Verdienste zum Star in einer Szene entwickelt, die sich mit dem Starprinzip schwertut. Sein Aussehen und sein Habitus machen ihn zu einem Popstar im wahrsten Sinne das Wortes. Ein anderer hätte gestern möglicherweise keine Standing Ovations eingeheimst. Ein anderer hätte Laura Poitras nicht in den Schatten gespielt. Bei einem anderen hätte möglicherweise die Friedensnobelpreisträgertodesliste mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Ich weiß ehrlich nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Die Leute am Kongress hätten den Popstar wahrscheinlich nicht gebraucht. Im Sinne der Außenwirkung ist es aber wahrscheinlich recht hilfreich, dass ein herzeigbarer Star die Botschaft verbreitet.