Wenn sich eine deutsche Regisseurin filmisch an Marokko heranwagt, läuten bei dem Ethnologen in mir die Alarmglocken. Wenn das Thema – zumindest am Rande – Prostitution in einem muslimischen Staat sein soll, dann erwarte ich in erster Linie eine Geschichte über hilflose, ausgebeutete Frauen. Es geht auch anders. Irene von Alberti erzählt in Tangerine sehr behutsam eine Geschichte über Widersprüche und darüber wie die die Brille der Herkunft den Blick auf die Menschen verstellt. Eine Gruppe deutscher Musiker – repräsentiert durch ein Paar, das gerade eine Krise durchlebt – ist in der marokkanischen Hafenstadt Tanger auf der Suche nach der Quelle des Rock’n’Roll. Oder anders gesagt: nach ein wenig Ethnoromantik. Ein attraktives marokkanisches Mädchen ist auf der Suche nach einem Weg aus den beengenden Zukunftsvorstellungen, die ihre Familie für sie hegt. Sie findet Zuflucht bei Prostituierten, die diese Situation in Kauf nehmen, nur um sich ein Stück in Richtung des ersehnten Europa zu bewegen. Der Film erzählt in ruhigen Bildern (in denen sich die Regisseurin den touristischen Blick auf Marokko verbietet) eine verworrene Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verführung und betrogene Gefühle zwischen Marokkanerinnen und Deutschen. In dem Stoff stecken allerhand Gefahren. Dass der Film in keine davon hineintappt, ist der Regisseurin hoch anzurechnen. Der „clash of civilisations“ wird letztlich auf dem Schlachtfeld individueller Emotionen ausgetragen.
Details: http://www.filmgalerie451.de/film/tangerine/