Es ist twenty.twenty zum Thema „Mobilize / Get mobilized“, es ist eine Blogparade und hier ist mein Senf dazu.
Durch die Statements, die bislang zum Thema eingetroffen sind, ziehen sich als roter Faden zwei Erkenntnisse: Zum einen sind sich alle einig, dass die Dichotomie reale versus digitale Welt keine mehr ist und zum anderen betonen alle, dass Mobilisierung für Aktivitäten, die den Menschen mehr abverlangt als einen Click oder das Unterzeichnen einer Online-Petition, nach wie vor eine ziemlich schwierige Aufgabe ist.
Die Dichotomie ist keine (mehr)
Das Digitale ist Teil des „Real Life“. Spätestens seit Tweets von Österreichs weltbekanntestem Nachrichtenmoderator im Parlament verlesen wurden, seit die Veröffentlichung von Dokumenten auf Onlineplattformen politische Erdbeben ausgelöst haben, seit Online-Filmchen von Eiswasserüberdenkopftschüttaktionen eine schwere Nervenkrankheit ins öffentliche Bewusstsein gerückt haben, ist wirklich allen klar: Was sich aus Bits und Bytes zusammenfügt, ist Teil unseres Lebens. Dass sich die Menschen weder im Online- noch im Offline-Teil dieses Lebens so einfach zu welchen Aktivitäten auch immer mobilisieren lassen, ist keine besonders überraschende Erkenntnis.
Dann müssen auch die gleichen Regeln gelten
Wenn die Mobilisierung mal geglückt ist, sollten online wie in der physischen Welt die gleichen Regeln für die Objekte der Mobilisierung gelten. Tun sie aber nicht.
Ein Beispiel: Unsere Gesellschaft leistet sich einige Instrumente, mit denen Menschen ihren Unmut gegen die herrschenden Verhältnisse zum Ausdruck bringen können. Eines davon ist die Versammlungsfreiheit und die ist ein Grundrecht:
„Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden. Die Ausübung dieser Rechte wird durch besondere Gesetze geregelt.“
So steht es im österreichischen Staatsgrundgesetz (siehe hier).
Im besonderen Versammlungsgesetz ist unter anderem festgelegt, dass derartige Versammlungen 24 Stunden vor Abhaltung „unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit“ bei der zuständigen Behörde angemeldet werden müssen. Mehr braucht es dafür nicht. Nicht einmal eine Stempelgebühr.
Dass bei derartigen Zusammenkünften der Verkehrsfluss etwas gestört wird, nehmen wir in Kauf. Es ist auch vollkommen in Ordnung, dass Schilder und Transparente mit politischen Botschaften vor den Symbolen der herrschenden Verhältnisse zu sehen sind und als solche in den Medien weiter verbreitet werden. Das Demokratiezeitrum meint dazu
„Die zuständige Behörde darf nur dann die Veranstaltung verbieten, wenn die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet werden. Allerdings steht das Versammlungsgesetz im Verfassungsrang, daher reicht eine zu erwartende Verkehrsstörung (Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung) nicht für ein Verbot.“ (Siehe: demokratiezentrum.org)
Dass die Menschen, die die Transparente in Händen halten, nicht vermummt sein dürfen, ist – vorsichtig formuliert – diskutierenswert.
Wo ist das Online-Äquivalent?
Sicher kann man sich im digitalen Raum auch „versammeln“. Viel einfacher sogar als in der physischen Welt. Wenn die virtuell Versammelten dann aber den Verkehr beeinträchtigen oder digitale Transparente vor den Online-Symbolen der herrschenden Verhältnisse zu sehen sind (sie nennen es Defacement), wird es schon verdammt heikel. Und meist auch illegal.
In Deutschland gab es vor einigen Jahren recht intensive Diskussionen über Online-Versammlungen. Der Auslöser war eine Protestaktion gegen die Praxis der Lufthansa bei den Abschiebungen von Asylwerbern. 2001 haben es 13.000 Menschen geschafft, mit 1.262.000 Zugriffen innerhalb von zwei Stunden die Website der Fluglinie lahmzulegen. Für zehn Minuten war sie gar nicht erreichbar. Um mehr Zugriffe pro Blockadeteilnehmer zu erzielen haben diese eine spezielle Software verwendet. Der Initiator der Aktion, der auch die Software zur Verfügung gestellt hat, wurde 2006 in letzter Instanz freigesprochen, weil es sich nach Ansicht des OLG Frankfurt bei der Aktion nicht um eine physische Einwirkung handelte. Damit war das das erstinstanzliche Urteil begründet worden. Das Gesetz hatte 2006 schlichtweg keine Begrifflichkeit für solche Dinge. Wie das Verfahren vor dem Hintergrund einer Gesetzesänderung zur Umsetzung der Convention on Cybercrime des Europarates aus dem Jahr 2007 ausgegangen wäre, darüber kann man nur spekulieren.
Eines steht allerdings fest: Organisatoren von Online-Demonstrationen können sich in Deutschland nicht auf das Recht auf Versammlungsfreiheit berufen, wie es die Aktivistinnen und Aktivisten bei der Lufthansa-Blockade getan haben. Da hat die deutsche Regierung mittlerweile eine klare Meinung: Virtuelle Versammlungen seien „mangels Körperlichkeit“ keine Versammlungen im Sinne des Grundgesetzes. (Siehe hier.)
Ziviler Ungehorsam und rechtlich garantierte Widerspruchsmöglichkeiten
Bei Aktivismus ist der Grat zwischen gesetzeskonformem und rechtlich nicht gedecktem Verhalten seit jeher ein schmaler. Ziviler Ungehorsam gilt Menschen, die ein System als ungerecht empfinden, oft als Notwendigkeit. Legitimiert wird er meist durch Menschen, die ihre Zustimmung öffentlich zeigen oder gegen überzogene Reaktionen der derart Provozierten auftreten. Bleibt diese Zustimmung aus, reduziert sich der zivile Ungehorsam auf eine Regelverletzung einzelner. Nicht viele haben den Mut, sich an Schornsteine zu ketten, sich nicht in kleinen Booten Walfängern in den Seeweg zu stellen, oder geheime Dokumente zu veröffentlichen. Aber manchmal lassen sie sich mobilisieren, gehen auf die Straße und zeigen vor den Symbolen der Macht, dass sie die Anliegen der Angeketteten, Bootsfahrer und Whistleblower unterstützen. Das zeigt Wirkung; insbesondere dann, wenn die Demonstration im sichtbar – und vor allem auch spürbar – im öffentlichen Raum stattfindet, wenn unbeteiligte Passanten etwas davon mitbekommen, wenn der Verkehr behindert wird und so weiter und so fort. Als Demokratie leisten wir uns diese Möglichkeiten. Im Netz, wo Demokratie zunehmend auch stattfindet (Tippen Sie „Online-Partizipation“ in das Suchfeld Ihrer Suchmaschine!) fehlen sie noch. Da gibt es gerade mal die Möglichkeit, Online-Petitionen zu unterzeichnen, Abgeordneten und Entscheidungsträgerinnen, E-Mails zu schicken oder Avatarbildchen mit Slogans zu versehen. All das hat nicht den Effekt einer Demo vor Parlamenten, Rathäusern oder Firmenzentralen. All das ist nicht so wirkungsvoll, wie eine gesperrte Ringstraße und tausende Demonstrierende, die von Sicherheitskräften – auf Kosten der Steuerzahlenden – begleitet werden. Der Rest – die Dinge, die mehr Wirkung entfalten – liegen im rechtlichen Graubereich.
Wie könnte digitales Demonstrationsrecht aussehen?
Um ehrlich zu sein, ich habe nur einige sehr vage Ideen, wie digitales Demonstrationsrecht aussehen könnte, das in etwa dem entspricht, was im physischen Teil der Welt als Grundrecht gilt. Man muss dabei vielleicht nicht so weit gehen wie Anonymous, die 2013 in einer Online-Petition gefordert haben, dass DDoS-Attacken legalisiert werden. Wenn uns freier Zugang zu Informationen wichtig ist, dann können wir nicht dafür sein, dass der Zugang zu Informationen unserer politischen Gegner mit technischen Hilfsmitteln unterbunden wird. (Zudem hat ein „klassischer“ DDoS-Angriff wenig mit Protestaktionen zu tun, an denen sich viele Menschen beteiligen.)
Wenn ich mir aber etwas wünschen dürfte, so wäre das: Auf Seite der Aktivistinnen und Aktivisten sollten Instrumente für digitalen Protest entwickelt und erprobt werden, die spürbarere Wirkung entfalten als das herkömmliche Slacktivism-Getue, ohne dabei in Vandalismus auszuarten. Und dann brauchen wir eine breite Diskussion darüber, was wir uns als Gesellschaft an derartigen Instrumenten leisten wollen und in den Grundrechtekatalog schreiben. Für die Offline-Welt wurden Versammlungsfreiheit und ähnliches im Lauf vieler Jahrzehnte erstritten, weil wir als demokratische Gesellschaft davon überzeugt sind, dass sie wichtige Impulse für die Weiterentwicklung unserer Demokratie liefern können. Für den Online-Teil unserer Welt brauchen wir das noch.
Ein höchst lesenswerte juristische Analsyse von Sebastian Hoffmann zur „Lufthansa-Blockade“ wurde in der Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik publiziert. Das .pdf dazu gibt es hier.