Wo beginnen? So viele Dinge haben dazu geführt, dass ich vergangene Woche meinen Antrag für eine Mitgliedschaft bei der österreichischen Piratenpartei gestellt habe. Da waren meine Kinder, die mir die Frage gestellt haben, warum ich mich so für Politik interessiere, aber kein Politiker bin. Da waren Sympathie und Interesse für das „Phänomen Piraten“ (einiges davon ist auf diesem Blog nachzulesen). Da ist auch eine große Enttäuschung von den Grünen. Und da ist „der Igler“, mein Lebensabschnittsschwiegervater, der es getan hat. Er ist jetzt im Bundesvorstand der österreichischen Piratenpartei. Spät- und Quereinsteiger. Das versuch‘ ich jetzt auch. (Späteinsteigen. – Nicht den Bundesvorstand!)
Meine Kinder: Ich muss ihnen was erklären
Ich müsste meinen Kindern viel und lange erklären, warum Politik wichtig ist und man sich dennoch davon fernhalten soll. Das System Politik ist brutal und zu sagen hat nur, wer sich in der Partei brav nach oben dient. Wenn man dann dort oben ist, darf man nur ja keinen Fehler machen, ansonsten fällt man in der Partei in Ungnade oder – noch viel schlimmer – die anderen Parteien oder die Medien fallen über einen her wie die Piranhas. Da bin ich nicht der Typ dafür. Ich habe eine dünne Haut. (Das glaubt mir wahrscheinlich niemand, aber es ist so.) Da ist es doch viel bequemer als quasi engagierter Mensch da und dort eine Petition (online oder mit Tinte) zu unterschreiben, Shitstorms mit originellen Bonmots anzuheizen und ab und zu auf einer Demo zu sein. Schön unverbindlich, aber mit dem Herzen am richtigen (ganz bestimmt nicht am „rechten“) Fleck. Man ist dabei, man ist da und dort dagegen, aber man muss sich nicht deklarieren. Meine Kinder verstehen das nicht. Ich auch nicht ganz. Dennoch habe ich das lange so praktiziert. War ja auch recht bequem: Auf der einen Seite habe ich was für mein Gewissen getan und auf der anderen habe ich mir alles offen gehalten. Jetzt sage ich meinen Kindern, dass ich versuchen werde, gemeinsam mit den Piraten was zu bewegen. Für sie klingt das logisch. Für mich auch.
Die Piraten: Jetzt mit (Grund-)werten
Mit welchen Problemen die Piraten auch immer zu kämpfen haben (interne Querelen, Obskuranten in relevanten Positionen, zu wenig Frauen in der Partei…), eines kann ihnen niemand abstreiten, sie wollen Demokratie, sie wollen das Maximum an Selbstbestimmung für jeden einzelnen und sie wissen um die Bedeutung des Netzes für kulturellen, sozialen und demokratischen Fortschritt. Manch andere Parteien haben das nicht einmal ansatzweise verstanden, oder arbeiten ganz bewusst dagegen. (Anders sind Dinge wie Vorratsdatenspeicherung, INDECT oder CleanIT nicht zu erklären.) Die Piraten sind auch die einzigen, die das Starprinzip in der Politik glaubhaft durchbrechen wollen. Inhalte sollen vor Personen stehen. Dahin gelangen sie mit Methoden wie Liquid Feedback und basisdemokratischen Ansätzen. Das ist alles ziemlich mühsam, aber ich vertraue darauf, dass die Resultate stabiler sind wie vieles, was andere Parteien so ins mediale Getöse trompeten. Das Parteiprogramm mag zwar an manchen Stellen noch etwas unfertig wirken oder stilistische und orthografische Schwächen aufweisen (diesen Vorwurf kann man meinem Blog auch machen), es ist aber deutlich konkreter als die heiße Luft, die anderswo rausgeblasen wird. Was mich aber wirklich überzeugt, ist das da: Werte! Ich bin ja skeptisch, wenn jemand diesen Begriff in den Mund nimmt, aber was da Ende Oktober beschlossen wurde, ist ebenso sinnvoll wie sympathisch. Lest das, vom Anfang bis zum Ende! Ich will hier keinen einzelnen Satz herausgreifen. Das ist als Ganzes wichtig und richtig.
Die Grünen: Vergeigt
Ja, liebe Grüne, Ihr habt es vergeigt. Solange ich denken kann, habe ich Euch gewählt (O.k., einmal habe ich bei einer Gemeinderatswahl eine Bürgerliste gewählt, die ich mitgegründet habe und einmal wollte ich wissen, wie es ist, wenn in einer kleinen Landgemeinde der einzige Wähler einer linken Partei gesucht wird), aber wie Ihr Euch derzeit darstellt…sorry, da kann ich nicht mehr mit. Ihr habt echt gute Leute, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass Eurer wichtigstes Bestreben ist, Euch nur ja nicht als (potenzieller) Koalitionspartner unbeliebt zu machen. Außerdem habt Ihr mit den Wiener Vorwahlen, Eurem Umgang mit Ergebnissen direktdemokratischer Prozesse (Stichwort Parkpickerl-Einführung in Wien), Eurer Reglementierungswut und Euren Verbotsfantasien (Zigarettenautomat als krassestes Beispiel) und vor allem Eurer offiziellen Meinung zum Thema Urheberrecht bzw. Eurem Kultursprecher Zinggl schon eine ziemlich lange Liste an Dingen, bei denen ich nicht mehr mit kann. (Ein besonderes Zuckerl: Zinggls obskure Vorstellungen zur Erhebung der Nutzungsdaten für eine Urheberrrechts-Pauschalabgabe auf Seite 5.) Ich nehme euch eines auf jeden Fall ab: Ihr seid sauber und Ihr habt mit dem ganzen Korruptionsdreck nichts zu tun. Zukunftsorientierte Politik schaut aber anders aus. Die habt ihr mal gemacht. Dafür bin ich Euch dankbar, aber das war’s dann auch schon. Euer aktuell gültiges Parteiprogramm ist aus dem Jahr 2001. Da steht viel Schönes drin, aber eines glaube ich Euch einfach nicht mehr:
„Unser Politikverständnis geht über den Vertretungsanspruch durch Parteien und BerufspolitikerInnen hinaus. Wir sind der Überzeugung, dass jeder Mensch an der Gestaltung seiner Lebensbedingungen mitarbeiten können sollte. Deswegen ist uns die Zusammenarbeit mit parteilich ungebundenen Initiativen und Gruppierungen wichtig. Wir entwickeln unsere Politik im Dialog mit außerparlamentarischen Einrichtungen. Statt für Menschen und Gruppen zu sprechen, wollen wir ihnen Raum geben, sich selbst Gehör zu verschaffen.“ (Grundsatzprogramm der Grünen; Beschlossen beim 20. Bundeskongress der Grünen am 7. und 8. Juli 2001 in Linz)
Ihr seid Teil des Systems geworden. Dass Ihr so weit gekommen seid, verdient Respekt. Für eine wirkliche Änderung, die dieses Land so dringend braucht, seid Ihr aber schlecht aufgestellt.
Der piratische Bundesvorstand: Wachsam sein
Mit dem Igler habe ich ja schon das eine oder andere Mal über die Piraten diskutiert. Ein Gespräch ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ich habe argumentiert, dass ich nicht in der Lage bin, mir zu jedem politischen Thema eine Meinung zu bilden. Die Welt ist viel zu komplex geworden, als dass ich zu allem und jedem eine fundierte Postition haben kann. Die repräsentative Demokratie ist daher bis zu einem gewissen Grad eine logische Notwendigkeit, man müsste sich nur darauf verlassen können, dass die gewählten Repräsentanten gemäß den Grundsätzen entscheiden für die man sie gewählt hat und das mit entsprechender Sach- und Fachkenntnis. Man müsste… – Man kann aber nicht! In Österreich schon gar nicht. Am unrühmlichen Ende des Korruptions-Untersuchungsausschusses sieht man ganz deutlich, dass die Instrumente zur Selbstkontrolle des politischen Systems mehr schlecht als recht funktionieren. Und das mit der Fach- und Sachkenntnis der Politiker… naja. Für eine Karriere als Berufspolitiker reichen heute schon eine gute NLP-Schulung und die dicke Haut, die mir fehlt. Es muss auch anders gehen, hat der Igler in diesem Gespräch gepoltert. Man muss es zumindest versuchen.
Von nun an also Pirat
Vergangene Woche habe ich also meinen Beitrittsantrag bei den Piraten gestellt. Eigentlich hätte ich mir eine Mitgliedsnummer erwartet, aber ich habe nur einen Usernamen bekommen. Der lautet werquer (wie eigentlich eh überall). Von nun an werde ich also von „uns“ und „wir“ sprechen, wenn ich mich über die Piraten äußere. Das ist keine so bequeme Position mehr als die eines „unabhängigen“ Kritikers. Ich weiß auch, dass bei den Piraten – sorry, „bei uns“ – längst nicht alles perfekt ist. Dennoch: Ich habe für mich beschlossen, dass es an der Zeit ist, sich zu deklarieren und die bequeme und unverbindliche Position aufzugeben. In der Theorie haben die Piraten aus meiner Sicht die besten Ansätze (inhaltlich und auch was die „Tools“ betrifft). Für die Umsetzung bin ich nun zum Teil mitverantwortlich. Das bin ich meinen Kindern schuldig.
Alsdann: Ahoi!
(Ich werde weiter berichten.)