Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Äpfeln? Wahrscheinlich ist der nicht sehr groß. Gesund sind sie allemal. Es könnte aber sein, dass der eine sehr weit gereist ist und der andere aus der Gegend kommt.
Wenn ich über Google Maps eine Route von Wien nach Wellington in Neuseeland planen will, so erhalte ich: „Wir konnten keine Route zwischen Wien und Wellington, Neuseeland berechnen.“ Wie jedes Kind weiß, ist ein Tunnel, der genau durch den Erdmittelpunkt führt, der kürzeste Weg nach Neuseeland. Gäbe es diesen Tunnel, so wäre er mehr als 12.700 Kilometer lang. Es gibt ihn aber nicht und so ist die Wegstrecke, die ich nach Wellington zurücklegen müsste, deutlich länger als diese 12.700 Kilometer. Ich war noch niemals in Neuseeland, aber ich kann mir vorstellen, dass eine Reise dorthin einigermaßen beschwerlich ist. Wegen mir muss kein Apfel solche Strapazen auf sich nehmen. Ich kaufe lieber lokale Produkte. Der Unterschied kann gar nicht so groß sein, dass ich neuseeländische Äpfel käuflich erwerbe.
Und doch kann es passieren, dass weitgereiste Äpfel bei BILLA mit heimischen Provinzäpfeln in einer Obstkiste liegen. Dass sich beide in trauter Zweisamkeit den Wohnraum im Apfelkisterl teilen, ist kein Zufall, sondern den komplexen Logistikprozessen geschuldet. Das haben mir heute die Mitarbeiter der BILLA-Filiale bei mir ums Eck erklärt und ein Mitarbeiter in der Firmenzentrale hat’s bestätigt.
Es trug sich Folgendes beim Apfelkauf zu: BILLA zeichnet Produkte aus Österreich mit gut erkennbaren rot-weiß-roten Fähnchen aus. Ich identifizierte die Austro-Äpfel also recht schnell, legte sie auf die Waage und drückte die Taste 16 wie mir geheißen. Die streckte mir eine klebrige Papierzunge raus auf der nicht nur „Apfel gelegt“ stand, sondern auch „Herkunft: Neuseeland“. Hm! Ich suchte den Fehler zuerst bei mir. Da lag er aber nicht. Waagentaste 16 für Äpfel aus Österreich. Das stimmte schon. Also wandte ich mich an einen Mitarbeiter, der gerade damit beschäftigt war, die von obstprüfenden Kunden in Unordnung gebrachten Früchte wieder in Reih und Glied zu bringen. Er versicherte mir, dass die Äpfel aus Österreich stammen. Das Schild am Kistl wäre falsch. Er verschwand im Lager und kam kurz darauf mit einem Schild zurück, das die Äpfel als kernige Neuseeländer auswies. „Sind die Äpfel jetzt also doch aus Neuseeland?“ „Nein, die sind aus Österreich!“ Also wie jetzt? Ein zweiter BILLA-Mitarbeiter eilte herbei und erklärte mir, dass das alles schon seine Richtigkeit habe. In Kürze würden neue Äpfel der gleichen Sorte aus Neuseeland eintreffen und der Integrationsprozess im Obstkisterl solle zügig von Statten gehen. Hierfür gebe es eine von der Zentrale vorgegebene Weisung, von nun an alle im Kistl verbliebenen österreichischen Kernöbster als Neuseeländer zu bezeichnen. Er könne mir aber versichern, dass ich Österreicher in meinem Einkaufswagen habe.
Ich wollte von der Zentrale wissen, was es mit dieser Regelung auf sich habe und schrieb eine E-Mail. Bald darauf läutete mein Telefon. Ein freundlicher Herr hörte sich meine Geschichte an und bestätigte, dass das der vorgesehene Prozess sei und alles seine Richtigkeit habe. Logistisch wäre es nicht anders machbar als „auslaufende“ Modelle mit neuen in ein Kistl zu legen. Dann würden „höherwertigen“ Produkte im Sinne der Kundinnen und Kunden als „niederwertige“ ausgeschildert. Höherwertig seien in dem Fall heimische Produkte, da die Regionalität für Kunden wie mich kaufentscheidend ist. Der freundliche Herr aus der Zentrale schloss definitiv aus, dass BILLA neuseeländische Äpfel als Österreicher etikettiert. Der Prozess funktioniere nur in eine Richtung.
Das beruhigt mich ein wenig. Ganz geheuer ist mir der mit Hausverstand definierte Prozess aber trotzdem nicht. So gerne würde ich mich darauf verlassen können, dass überall drin ist, was draufsteht. Interessant wäre die Einstufung bei zwei außerösterreichischen Produkten der gleichen Sorte und Güteklasse. Sind niederländische Tomaten in den Augen der Käuferinnen und Käufer höherwertiger als ungarische?