Am Dienstag, den 19. Juni 2012 gibt es die zehnte Ausgabe von twenty.twenty unter dem Titel „Information.Wissen.Wert“. Und auch dieses Mal gibt es eine Blogparade. Der Wert von Wissen? Der erste Antwort-Reflex wäre: Es gibt in unserer postindustriellen Gesellschaft nichts Wertvolleres als Wissen. Auf der individuellen Ebene sowieso nicht. Hier können wir uns bei Francis Bacon bedienen und den Satz „Wissen ist Macht“ in Richtung „Wissen ist die Verbesserung der individuellen Möglichkeiten“ modifizieren. Auf gesellschaftlicher Ebene funktioniert das auch ganz gut: „Alle Macht geht vom Volke aus“ steht so oder so ähnlich in den Verfassungen aller demokratischen Staaten. Dass Wissen erst an Wert gewinnt, wenn es angewandt und geteilt wird, ist mittlerweile auch Common Sense. Dann müssen also nur mehr möglichst viele Menschen drauflos wissen und alles wird gut? Dann müssen wir nur mehr alle Archive digitalisieren und öffnen, uns ein paar kluge Algorithmen überlegen, wie wir mit der bunten Informationsvielfalt umgehen und schon leben alle in immerwährendem Frieden und Wohlstand? Weil, und das ist ja das Wundersame am Wissen, es geht nicht aus, wenn es von vielen gewusst wird.
Warum machen wir das dann nicht?
Ganz einfach: Es bringt keine Butter aufs Brot. In unserer Zeit wird Wissensarbeit – oder „kognitive Arbeit“ wie es der italienische Ökonom Enzo Rullani [1] nennt – immer wichtiger. Und die Menschen arbeiten nicht zum Spaß, sondern um mit der Produktion und Anwendung von Wissen Geld zu verdienen. Mit einigen Verrenkungen kann aus Wissen ein handelbares Gut werden und dann lässt sich auch Geld damit machen. Man muss es nur künstlich verknappen – sprich: erst herausgeben, wenn auch dafür bezahlt wird. Das hat schon seltsame Blüten getrieben: Ich denke da etwa an DRM (Digital Rights Management), wo man versucht hat, die Verknappung mit aller (technischen) Gewalt durchzusetzen. Es gibt aber auch schon klügere Modelle wie etwa die Werbefinanzierung von Inhalten, z.B. die Free Version von Spotify. Wenn man sich ein wenig anstrengt, lässt sich dieses Problem lösen und die Regeln des Marktes greifen.
Was fällt dabei durch den Rost?
Nun muss man sich aber die Frage stellen, welcher Art von Wissen unter den Regeln des Marktes der Vorzug gegeben wird. Ich behaupte jetzt einmal, dass es der Todesstoß für Wikipedia wäre, wenn man dort beginnen würde, Werbung zu schalten. Wikipedia lebt primär von freiwilliger und unbezahlter (!) Arbeit und von Spenden. Der Guardian ist ein weiteres Beispiel: Er gilt als Quell neuer Formen der Wissensproduktion (Stichworte: Datenjournalismus, Kollaborativer Journalismus). Wenn die Regeln des Marktes auf ihn angewandt werden würden, gäbe es ihn schon längst nicht mehr. (Trotz einiger Konsolidierungsmaßnahmen ist der Guardian ein Verlustgeschäft, das nur weiter betrieben wird, weil der Scott Trust dahinter steht; eine Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, unabhängigen Journalismus zu fördern. [2]) Die Liste lässt sich beliebig verlängern: Grundlagenforschung? Kunst und Kultur, die nicht als Digitalisat handelbar sind? Ich bin absolut sicher, dass die Logik des Marktes mit etwas Phantasie und gutem Willen auf noch viel, viel mehr Informationsgüter (als „materialisiertes“ Wissen) angewandt werden kann, zumal das Netz weltweite Vertriebsmöglichkeiten bietet. Da kommen die Long Tail Mechanismen zu tragen. Es bleiben aber immer noch Bereiche übrig, die schwer zu monetarisieren sind. Manches Wissen hat eben nicht nur einen Wert, der in Geld zu messen ist. Es ist trotzdem nötig, weil es positive Entwicklungen auf einer gesellschaftlichen Ebene fördert, weil es bessere Teilhabe an politischen Prozessen fördert, weil es Dinge zu Vorschein bringt, die bislang unentdeckt waren etc. Wenn sich alle Wissensproduktion dem Diktat der Ökonomie beugt, bekommen wir einen Mainstream von „verwertbarem“ Wissen.
Freiräume für „unproduktives“ und dennoch wertvolles Wissen
Es ist nicht neu, dass sich Gesellschaften Institutionen schaffen, in denen möglichst unabhängig über die Welt nachgedacht werden kann (bzw. Wissen „produziert“ wird). Im universitären Bereich nennt sich das „akademische Freiheit“, bei Medien nennt sich das „redaktionelle Unabhängigkeit.“ Neu ist, dass Wissen mittlerweile eine „grundlegende Produktivkraft“ [3] geworden ist. Das resultiert bei Rullani in folgender These
„Alle Arten der Arbeit in der modernen Ökonomie sind kognitive Arbeit.“
Und damit geht es bei Wissensproduktion immer stärker darum, Wert im engeren ökonomischen Sinn zu schaffen und den Regeln des Wettbewerbs zu folgen.
Wir müssen heute darüber nachdenken, wie Möglichkeiten und Freiräume geschaffen bzw. erhalten werden, damit nach wir vor Wissen produziert wird, das zwar nicht vordergründig im Sinne der ökonomischen Logik verwertbar ist, aber dennoch Wert besitzt. Das sieht auch Rullani so:
„Investitionen in Wissen bedürfen (…) einer strukturellen Form öffentlicher Unterstützung. Wissen und Markt stehen prinzipiell in einer schwachen Beziehung zueinander.“
Ein Teil der Überschüsse, die auf den Wissensmärkten erzielt werden, muss in die Produktion von Wissen fließen, das sich nicht dem Wettbewerb stellen muss und diejenigen, die diese kognitive Arbeit erbringen, müssen entsprechend entlohnt werden. Bei einer Urheberrechts-Diskussion auf der re:publica 2012 ist jemand aufgestanden, der das bedingungsloses Grundeinkommen als Einnahmequelle für Künstler vorgeschlagen hat, anstatt sie von Verteilungsschlüsseln der Verwertungsgesellschaften abhängig zu machen. Ein radikaler Ansatz, der sich auch auf andere Wissensproduzenten umlegen lässt. Weniger radikale Ansätze sehen die Lösung in gezielten Förderungen oder Investitionen der öffentlichen Hand oder eben in der Finanzierung von entsprechenden Institutionen. Es muss auch nicht immer zwingend die öffentliche Hand sein, die diese Freiräume schafft. Bei Wikipedia sind es etwa Spenden, die für die Wissensproduktion aufgewandt werden. Auch Unternehmen sind durchaus in der Lage Derartiges zu unterstützen. Das müssen nicht immer große Forschungsstiftungen sein, bei denen hochrangige Vertreter für die Unabhängigkeit einstehen. Ein kleines Beispiel liefert auch die Veranstaltungreihe twenty.twenty.
Bis 2020 werden sich viele gute Business-Modelle etabliert haben, die einen funktionierenden Handel mit Informationsgütern ermöglichen, um die Freiräume für unproduktives Wissen werden wir aber nach wie vor kämpfen müssen.
[1] Enzo Rullani (2011): Ökonomie des Wissens. Kreativität und Wertbildung im Netzwerkkapitalismus. Verlag Turia + Kant, Wien – Berlin
[2] THE FOUNDATION HAS FOUR STRANDS: 1. CHARITABLE FUND WHICH SUPPORTS PROJECTS ASSOCIATED WITH INDEPENDENT JOURNALISM, JOURNALIST ETHICS, MEDIA LITERACY AND JOURNALIST TRAINING. 2. BURSARIES FOR POST GRADUATE TRAINING IN EITHER NEWSPAPER/ONLINE JOURNALISM, BROADCAST JOURNALISM OR SOFTWARE DEVELOPMENT. 3. THE GUARDIAN FOUNDATION, THE OVERSEAS TRAINING ARM. 4. EDUCATION CENTRE, ARCHIVE & EXHIBITIONS.
[3] Rullani S. 128