Am vergangenen Freitag hat eine Runde von 11 Twitteristi sich redlich bemüht, der Bühnenfassung von Daniel Kehlmanns „Ruhm“ eine weitere Ebene hinzuzufügen. Gleich vorweg: Es ist nicht leicht, einer Theateraufführung zu folgen, dabei selbst Kommentare in ein Smartphone zu tippen und auch noch auf die Kommentare der anderen zu reagieren. Doch der Reihe nach.
Der Text
Kehlmanns Text funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Ist gleichermaßen künstlerisch anspruchsvoll verwobenes Geflecht an Erzählsträngen wie Kommentar zu Themen wie Identität, Kommunikation im Zeitalter von Handy und „Internet-Blogs“. Der Autor wirft seine Figuren in Extremsituationen, lässt sie zappeln und sie teilweise auch mit seinem Alter Ego Leo Richter, ihrem gottgleichen Schöpfer, interagieren. Bei der Aufführung in Reichenau ist mir erstmals aufgefallen, dass er die Geschichten sehr kühn anlegt, aber sie dann wenig mutig zu Ende bringt. Die krebskranke Rosalie erlöst er, indem er sie zurück verwandelt in ein junges Mädchen und ob sich der Esoterik-Autor Auristos Blancos tatsächlich erschießt nachdem er sein Geschwurbel als berechnende Lügen enttarnt hat, lässt er auch im Unklaren. – Das wäre auch ein guter Ansatzpunkt für Twitterer.
Die Inszenierung
Der 360° Bühnenraum in Reichenau war ideal für die Darstellung dieser Vielschichtigkeit des Textes. Die Schauspieler hatten Stiegen und etliche unterschiedlich hohe Plateaus zur Verfügung. Projektionsflächen an den Wänden erweiterten den Raum. Für das Bühnenbild stammt übrigens von Intendant Peter Loidolt selbst. Die Schauspieler – allen voran Erni Mangold als Rosalie und Raphael von Bargen als vollkommen überzeichneter Nerd – bilden ein sehr dynamisches Ensemble. Obwohl bei den Festspielen Reichenau erstmals ein modernes Stück am Programm stand, hat Regisseurin Anna Maria Krassnigg doch Konzessionen an das traditionsverliebte Publikum gemacht. Sie kramte stärker in der Komödienkiste als den Themen gut tat. Besonders unangenehm war das bei der überzeichneten Darstellung eines radebrechenden Offiziers in einem fiktiven zentralasiatischen Land.
Die Twitteraktion
Uns Twitterer im Zuschauerraum ist wohl der selbe Vorwurf zu machen wie Kehlmann selbst. Wir kamen mit großen Vorsätzen nach Reichenau und fanden es durchaus mutig, was Technologie-Journalist Gerald Reischl und Intendant Peter Loidolt uns da als Möglichkeit geboten haben. Wir hätten den Text weiterspinnen, im Namen der Figuren intervenieren, die Rolle des Autors unterminieren können. Doch das war dann gar nicht so einfach. Am besten ist das jemand gelungen, der „im Blindflug“ dabei war. Markus Hoholdinger aka @markus1105 war krankheitsbedingt nicht in Reichenau und hat das Projekt von zu Hause begleitet. Als LEO2 hat er sich einen zweite Autoren-Rolle geschaffen und tatsächlich das gemacht, was wir uns alle vorgenommen haben.
Fazit
Für mich war es durchaus spannend, dabei zu sein. Ich habe aber auch gelernt, wo die Grenzen des „Mediums“ Twitter liegen. Micro-Blogging eignet sich nur bedingt zur begleitenden Diskussion oder Weiterführung von Veranstaltungen und Theateraufführungen wie auch Jana Herwig aka @digiom schreibt. Wenn man dann auch noch zu viele Ebenen bedient werden, wird das ganze für Außenstehende gänzlich unverständlich. Wir haben den Text, die mangelnde Tiefenrecherche des Autors und die Aufführung selbst zum Thema gemacht, dazu auch noch Zitate oder Paraphrasen aus dem Text getwittert und im Sinne der Figuren interveniert und miteinander diskutiert. Das war nicht nur für uns selbst anstrengend, es hat retrospektiv betrachtet auch kaum Mehrwert für unsere Follower gebracht. Ich würde das sehr gerne wieder machen. Das nächste Mal müsste für allerdings ein Live-Stream der Aufführung zur Verfügung stehen (@geraldreischl: ich weiß, Du hast versucht, das zu organisieren!) und dazu müssten die Tweets eingeblendet werden. Und wir Twitterer müssten uns in Selbstbeschränkung üben und nur eine einzige weitere Ebene zur Inszenierung hinzufügen.
Sollte jemand Lust haben, das Projekt weiter zu analysieren, hier ein Textfile mit den Tweets: #Ruhm Tweets
Und hier ein paar weitere Beiträge zum Thema:
Christian Köllerer aka @Philoponus: Über die Rolle des Schweinsbratens in der Literatur
Markus Hochholdinger aka @Markus1105: Was Twitter und das Theater gemeinsam haben
Nicole Bäck aka @NickyBaeck: Wer braucht schon Literatur auf Twitter?
Gerald Reischl aka @geraldreischl: Reichenau: Heute twittert das Theaterpublikum
P.S. Für die W-Lan Versorgung im Saal haben wir einen kleinen W-Lan Router verwendet, der sein Signal über HSPA von A1 bekam. (Indoor gab es keine Mobilfunkversorgung. Daher hatte ich die Antenne an der Außenwand angebracht.) Ich war überrascht, dass eine einzige HSPA Connection ausreicht, 11 parallele W-Lan Sessions aufrecht zu erhalten. (Und dann höre ich auch schon wieder auf mit Werbung!)